Bilder und Assoziationen

Unlängst ergriff den neoliberalen Einheitswahn eine "Welle der Empörung" und sogleich forderte er "Political Correctness" ein.
Was war geschehen?
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Chef der Bayern-SPD, Ludwig Stiegler, verglich die Ideologie von CDU/CSU/FDP "Sozial ist, was Arbeit schafft" mit der Nazi-Parole "Arbeit macht frei".
Seinen Vergleich begründete Stiegler damit, dass die neoliberale Parole bei ihm zu dieser "Assoziation" geführt habe. Diese, so Stiegler, stand für die "zynische Entwertung des Begriffes Arbeit" und heute plane eben die Union "Arbeit ohne faire Bezahlung, ohne Arbeitsrechtsschutz, ohne Kündigungsschutz und Tarifautonomie und Arbeit im Niedriglohn".
Stieglers Fazit: "Wer Arbeit mit der Abwertung der Menschen verbindet und sie quasi vogelfrei macht, der muss sich gefallen lassen, dass mir solche Assoziationen einfallen."

Kaum hatte Stiegler diesen Vergleich ausgesprochen, schon sah er sich heftigsten Attacken ausgesetzt. Er sollte widerrufen, sollte sich entschuldigen und sogar der Rücktritt Stieglers von allen politischen Funktionen wurde gefordert.
Dass in diesen Chor der "Empörung und des Unverständnisses der Demokraten" sich auch Schröder, Müntefering oder Thierse einreihten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Ludwig Stiegler wurde mit seiner Erkenntnis allein gelassen und dieser Umstand provoziert die Frage, ob sich in der ältesten Volkspartei nur noch Dämel befinden?
War die Annahme etwa zu verwegen, dass sich in der SPD - trotz der 170.000 SPD-Parteiaustritte seit Schröders Machtantritt - zumindest noch zwei oder drei "Strategen" befinden könnten, die Stieglers klare Worte hätten nutzen müssen?
Eine gute Möglichkeit ist ungenutzt verstrichen, denn auch jegliche "Solidarisierungen" mit Stiegler blieben aus.
Letztlich sah sich Stiegler gezwungen, seinen Vergleich zurückzunehmen und schließlich entschuldigte er sich sogar damit, dass es wegen der Parole "Sozial ist, was Arbeit schafft" bei ihm zu einer “Fehlschaltung im Gedankenblitz” gekommen sei.
Die längst überfällige Debatte über die Entwertung von Arbeit blieb somit weiter aus.

Und Ludwig Stiegler?
Für seine Klarheit könnte ihm Respekt gezollt werden, doch warum ruderte er so schnell zurück?
Wollte er eine wirkliche Auseinandersetzung?

Ludwig Stiegler darf unterstellt werden, dass er nicht zu den historisch Unkundigen seiner Partei gehört. Daher hätte er wissen können, dass diese Parole nicht unbegründet zu seiner Assoziation geführt hat.
Heißt es heute "Sozial ist, was Arbeit schafft" - so hieß es einst "Sozial ist, wer Arbeit schafft". - Die neoliberale Parole unterscheidet sich von der Nazi-Parole Alfreds Hugenbergs also nur in einem einzigen Wort.

Alfred Hugenberg, einst Besitzer eines Presse-Imperiums und der Ufa, war einer der Wegbereiter Adolf Hitlers. Unter den Großspendern von Banken und Industrieverbänden ließ auch er sein Vermögen an Hitler fließen.
Für sein Ziel, die Weimarer Republik zu schwächen, setzte der ehemalige Krupp-Generaldirektor Hugenberg zudem seine publizistischen Organe ein.
Unentwegt hetzte er gegen die junge Demokratie.
Bereits in den 20er Jahren forderte Hugenberg die politische Anerkennung der Rechten. Und zur Durchsetzung seiner reaktionären Ideologie war sich Hugenberg auch nicht zu schade, seine "Deutschnationale Partei" mit der NSDAP zu verbünden. In der daraus entstandenen reaktionären "Harzburger Front" marschierte Hugenberg dann neben Hitler.
Die "Verdienste" Hugenbergs wusste Hitler schließlich zu würdigen: Nach der Machtübernahme ernannte er Hugenberg zum Wirtschaftsminister.

Diese historischen Zusammenhänge dürften Ludwig Stiegler bekannt sein. Er hätte somit nur auf die Ähnlichkeit zur Nazi-Parole hinweisen zu brauchen und schon wären die neoliberalen Gegner jeglicher Angriffsfläche beraubt worden und ihre gespielte Entrüstung schnell verstummt.

Ebenso wird Ludwig Stiegler bewusst sein, welche Öffentlichkeit er besitzt und damit hätte nutzen können. Mit dem Verweis zur Nazi-Parole wären daher sehr viele Menschen zu erreichen gewesen, wobei sich erahnen lässt, welche Debatte darauf gefolgt wäre – und diese hätte sich keineswegs einfach so abwürgen lassen. Erinnert sei nur an Münteferings niveaulosen Vergleich: wie rasant kamen die gescholtenen "Heuschrecken" mit Gesprächsangeboten, nur um bloß keine wirklich öffentliche Debatte aufkommen zu lassen. - Doch gerade Müntefering erweist das ganze Dilemma der SPD - was eben auch Stiegler betrifft: wie kann eine wirklich kritische Auseinandersetzung erfolgen, wenn man einer Partei angehört, die sich 6 Jahre lang in noch nie da gewesener Weise Millionären und Wirtschaft steuerpolitisch derartig angedienert hat? - Und die Täter der Entrechtung und Enteignung der ArbeiterInnen und Arbeitslosen sind nun mal keine glaubwürdigen Kämpfer gegen die Verarmung ihrer Opfer.

Im übrigen wurde die Herkunft der Nazi-Parole bereits im Jahre 2002 durch die TAZ aufgedeckt.
Widerstand zu derer Nutzung blieb von der SPD bis heute aus, aber auch durch die Gesellschaft. Und welchen Zustand wohl hat inzwischen unser Land erreicht, wenn (leicht modifizierte) Nazi-Parolen politisch genutzt werden können und hierbei ein jeglicher Protest ausbleibt?

Die Idee, eine Nazi-Parole zu nutzen, stammt von der CDU/CSU/FDP-Propagandazentrale "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" - und auf einen Zufall wird diese NICHT verweisen können. Gemeinsam mit dem "Focus" tourt sie nämlich mit ihrer "Ausstellung" durch Städte, durch welche exakt die gleichen Assoziationen geweckt werden.
Die Ausstellung titelt mit der Frage "Was ist sozial?" - wobei entsprechende Hetzkarikaturen gleich die Antwort geben.
Im 3. Reich wurde das Nazi-“Euthanasie-Programm” durch Karikaturen angekündigt, denen ein Massenmord folgte.
Auf einer der damaligen Karikaturen war bspw. ein "kräftig-gesunder deutscher Mann" zu sehen, der einen Balken in die Höhe stemmte, auf dem zwei geistig-kranke Menschen saßen. Die Hetze: gesunde und arbeitsfähige Menschen schleppen nutzloses und unwertes Leben mit.
In der "Was ist sozial?-Ausstellung" ist eine nahezu identische Hetze zu sehen, mit dem einzigen Unterschied, dass statts kranker Menschen von einst nun Arbeitslose auf dem Balken sitzen.

Inzwischen wurden einige dieser Karrikaturen "geadelt", doch bevor wir uns dem 2. Platz widmen, sollte zuvor geklärt werden, wer eigentlich hinter dieser Preisverleihung steckt.
So wird ja - auch durch die Medien - unentwegt behauptet, dass diese Initiative eine "parteiübergreifende Reformbewegung" sei.
Klärung indes bringt ein Besuch ihrer Homepage - und die sich zunächst vielversprechend "Chancen für alle" nennt. Auf dieser Seite können nun die Namen der sogenannten "Unterstützer", "Botschafter" und "Kuratoren" eingesehen werden - und somit möge eine kleine Aufzählung genügen, um die "Reformbewegung" zu charakterisieren: Manfred Kannegießer, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall; Prof. Roland Berger, Unternehmensberater; Prof. Dr. Hans Tietmeyer, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank; Prof. Dr. Paul Kirchhof, unlängst durch Merkel zum designierten Finanzminister auserkoren; Dr. Arend Oetker, u. a. Vizepräsident des BDI; Prof. Dr. Arnulf Baring, u. a. Publizist und einer der Lieblingsgäste zahlreicher Talkshows vor allem des neolibal-schwarzen Kanals “S. Christiansen“ usw. usf.
Zugleich der Hinweis, dass vor anstehenden Landtagswahlen immer "Ministerpräsidenten des Jahres" durch die Medien geistern... und bei diesen handelt es sich um "Landesväter" mit einem konservativen Parteibuch, denn verliehen wird dieser "Ehrenpreis" von der eigenen Propagandazentrale - ihrer "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".
Und somit erfahren wir auch, wer (neben dem “Reformer") der "Blockierer des Jahres" ist...
Ist damit klar ist, welche Personen wie "gewürdigt" werden, so folgt trotzdem eine kleine Anmerkung: "Reformer des Jahres 2003" wurde Prof. Dr. Paul Kirchhof. - was ihm trotzdem politisch nicht zu Gute kam, denn 2 Jahre später scheiterte Kirchhof als designierter Wirtschaftsminister... und tauchte schließlich ab.

Zurück aber zur "Wander-Ausstellung" dieser Initiative und ihrer zum 2. Platz prämierten Karikatur. Auf dieser ist eine "äußerst bedauerliche Gestalt" zu sehen, die sich gleich dem Sisyphos einen steilen Hang hinaufquälen muss. Und muss dieser "arme Tropf" zwar keinen Felsblock hinaufwälzen, so schleppt er erschöpft und schwitzend eine sehr schwere Last auf seinem Rücken. - Und was wohl wird die Ursache seines schier unerträglichen Mühsals sein? - Auf seinem "Buckel" hat sich eine "sehr gut genährte Schlafmütze" gemütlich eingerichtet, in einem riesigen Tragekorb, der als "Sozial-Staat" gekennzeichnet wurde.
Das gleiche Muster bei einer weiteren Hetze, wo eine "gleich gut ernährte Gestalt" zu sehen ist, nun ein "erwerbsloser Penner", der rauchend und biersaufend herumlümmelt. Und während er in seinem Sitzpolster flegelt, dabei die Beine bequem hochgelegt, beschwert er sich am Telephon: "DORT AMNESTY INTERNATIONAL? … HILFE!!!, ICH SOLL FÜR MEINE SOZIALSTÜTZE ‘NE GEGENLEISTUNG BRINGEN!"
Eine andere Karikatur übrigens zeigt Schröder als Basketball-Spieler, wie er einen mit "Reformen" beschrifteten Ball hält und dabei zerknirscht dreinschaut, weil Schröder den "Reformen-Ball" nicht in den Korb einwerfen kann. Warum? – Weil auf einer oberen Leitersprosse ein bekannter DGB-Funktionär steht, der fies grinsend das Netz zuhält...

Welche "Assoziationen" nun werden durch diese Karikaturen geweckt?

Gewerkschaftshäuser bspw. kann man heute nicht besetzen oder ebensowenig Gewerkschaftsfunktionäre verschleppen. - Doch wie könnte man besser darauf zuarbeiten als durch Ausstellungen dieses Inhaltes (?)!
Um errungene ArbeitnehmerInnen-Rechte weiter auszuhebeln und zu zerstören, um das ohnehin rasant zunehmende Lohndumping weiter flächenmäßig auszuweiten, um die dadurch erheblich geschwächte Gewerkschaft endgültig zu brechen - greift man auf bekannt-demagogische Muster zurück.
ArbeiterInnen-Rechte lassen sich eben durch Argumente und sachliche Auseinandersetzungen nicht aushebeln und zerstören - wohl aber durch Diffamierungen und Hetze.

Unverständlich und besonders erschreckend ist hierbei die Tatsache, dass für diese Hetze Räumlichkeiten in öffentlichen Einrichtungen wie in Stadtbibliotheken dargeboten wird, und somit sich auch die Frage nach Verantwortlichkeiten der entsprechenden Kommunal-Politiker stellt. - Denn mit welchen Eindrücken und Gefühlen verlassen Kinder und Jugendliche diese "Ausstellung", die sehr oft ohne Begleitung ihrer Eltern sind und dadurch Demagogie und Hetze unwidersprochen bleibt?

Letztlich bleibt noch offen ob sich die neoliberalen Einpeitscher auch in der Großen Koalition weiter so unverblümt auf die Nazi-Ebene einlassen werden.

Absehbar ist, dass bspw. ihre Bundeskanzlerin weiter unveränderten Blickes gen Westen auch zu den "sozialstaatlichen Errungenschaften" Amerikas schmachten wird.
Wird aber Merkel bspw. eine Notwendigkeit von "higher and fire" verständlich machen können, wo in den USA aller 23 Sekunden ein Gewaltverbrechen, aller 32,6 Minuten ein Mord geschieht oder aufgrund vermeintlich fortschrittlicher Errungenschaften jeder 7. Amerikaner im Gefängnis sitzt?

Abzuwarten bleibt zumindest, ob aus dem "linken Spektrum" ein Politiker mit Charakter und Verantwortung eine wirkliche Auseinandersetzung zur neoliberalen Propaganda sucht - und träte sie ein, so wäre eine öffentliche Debatte darüber nicht mehr zu verhindern.
In diesem Falle sähen sich auch die Konservativen genötigt, auf einen Zufall zu verweisen und müssten von ihrer Naziparole abücken. Verlieren würden sie letztlich indes nur wenig. So erwies sich der schwarze Block über viele Jahre als der taktisch weitaus klügere. Und damit bliebe ihnen zumindest die Parole ihres Bundespräsidenten des CDU-Mitgliedes Horst Köhler.
Dessen Parole "Vorfahrt für Arbeit" beinhaltet letztlich das gleiche - die zynische Entwertung von Arbeit, kurz: Arbeit um jeden Preis, sei er auch noch so niedrig.
Köhlers Träume "modern" formuliert: Wann hat Deutschland "Mut" - zum rumänischen Arbeitsschutz & zu chinesischen "Löhnen"?

Abschließend noch ein letzter Hinweis zur "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft": Unmittelbar vor dem Studiengebühren-Urteil des Bundesverfassungsgerichts schaltete die INSM eine Karrikatur auf ihrer Homepage frei, auf welcher erneut "sehr starke deutsche Arme" zu sehen waren, die Lasten schleppen: Nun waren es die Lasten einer freien Bildung.

Und (auch) dieser der Nazi-Propaganda so ähnlichen Demagogie dürfte keinem Zufall geschuldet sein.

Und welche Karrikatur wohl wird anlässlich der künftigen Gesundheits"reform“ Verwendung finden?

Ein Entwurf aus den 30er Jahren liegt schon bereit.
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