Unlängst warnte der deutsche
Ärztetag vor dem zunehmend in unserem Lande etablierenden Gesundheitssystem,
mit dem immer mehr Kranke ausgeschlossen werden.
Menschen, die aufgrund von Armut einen Arztbesuch meiden müssen, sind
schlecht versorgt und sterben früher als die Wohlhabenden.
Viele Kranke gehen durch die sogenannte Gesundheitsreform monatelang nicht
zu ihrem Arzt. Sie suchen erst die Praxis auf, wenn es ihnen ganz schlecht
geht, nämlich dann, wenn sich ein Infekt in eine eitrige Bronchitis
oder Lungenentzündung verwandelt hat oder die Zuckerwerte entgleisen,
weil der Diabetes nicht mehr richtig eingestellt ist.
Immer mehr Ärzte melden sich zu diesen Entwicklungen zu Wort. Sie
unterstreichen, dass mit dem Inkrafttreten der Gesundheitsreform im Jahre 2004 nicht selten über 20 % Prozent der Patientenbesuche
ausbleiben.
Damit ist eines klar: die Gesundheitsreform richtet sich gegen Arme.
Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Obdachlose, Migranten oder prekär Beschäftigte (die trotz Arbeit verarmen), also alle, die mit jedem Cent rechnen müssen, sind die Arztpraxisschwellen
zu hoch geworden.
Zuunächst sollen sie eine Praxisgebühr übernehmen, dann folgen
Zuzahlungen für Medikamente. Für kranke und schwerstkranke Patienten,
die damit vierzig oder sechzig Euro hinlegen sollen, ist dies unbezahlbar.
Die Folgen sind absehbar: Patienten, die nicht wie früher zum Arzt
gehen können, schieben bei Erkrankung bis zum letzten Moment den
Arztbesuch hinaus. Können rezeptfreie Medikamente gegen eine harmlose
Erkältung nicht gekauft werden, so brauchen die Erkrankten schließlich
teure Antibiotika oder ein Bett im Krankenhaus. Konsequenz dieser kurzsichtigen
wie menschenverachtenden Politik: an der adäquaten Versorgung
der Patienten soll zwar gespart werden, doch wird dieser Senkung der Gesundheitskosten
eine Kostenexplosion folgen.
Krankheit macht viele arm und Armut macht krank.
Ein Medizinsoziologe aus Düsseldorf stellte fest, dass Männer
aus der Führungsschicht um bis zu sieben Jahre älter werden
als einfache Angestellte oder Arbeiter (und das nicht in keinem Entwicklungsland sondern im reichen Deutschland). Nach einer Studie der "European
Science Foundation" nehmen in Deutschland Ungleichheit und damit
frühere Krankheit bis Sterblichkeit zu. Die Armut breitet sich zudem
stärker in der sozialen Mittelschicht aus und Armut beschränke
sich nicht auf das fehlende Einkommen. Viele Faktoren spielen
eine Rolle: Bildung, ungesunde Lebensweise, schlechte Wohnlage, fehlende
Beziehungen, soziale Spannungen, Arbeitslosigkeit oder ein unsicherer
Arbeitsplatz. Auch permanenter Stress ohne Anerkennung gehören dazu
- und eine dauernde Angst: Ein Drittel seiner Patienten sei krank, erzählte
ein Arzt, doch aus Furcht den
Arbeitsplatz zu verlieren ließen sie sich nicht krankschreiben.
Kinder erben Krankheiten von ihren falsch ernährten
oder stark belasteten Müttern (und zwar nicht nur Übergewicht
und Fettsucht). Auch Risiken für Stoffwechsel- oder Herz-Kreislauf-Krankheiten
werden den Kindern im Mutterleib oder gleich nach der Geburt mitgegeben,
selbst wenn die Erkrankungen erst nach fünfzig Jahren auftreten. Kinder von Alleinerziehenden sind dabei besonders gefährdet; sie haben überproportional oft schwere Gesundheitsschäden und sterben
daran sehr viel häufiger als Kinder aus intakten Familien.
Die sogenannte Gesundheitsreform ist ein Garant für kranke Armen,
die oft nicht mehr aufgefangen werden. Auch Patienten, die erst arbeitslos
geworden sind, meiden aus Scham den Hausarzt. Viele von ihnen werden
depressiv und verwahrlosen. Bei Hausbesuchen werden immer häufiger
Patienten angetroffen, die nach kurzen Krankenhausaufenthalten in katastrophalen
Verhältnissen lebten, weil sie noch nicht völlig genesen sind,
sich aber keine Hilfe leisten können.
Diese Auswirkungen der Gesundheitsreform irritieren
zudem viele Menschen.
So kommen in die Obdachlosensprechstunden zunehmend andere Arme, da es
sich herumgesprochen habe, hier gäbe es Medikamente gratis. Kinder
werden nicht mehr zu Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen gebracht, obwohl sie kostenlos sind. "Tuberkulose, die Krankheit der Armen,
nimmt zu" sagte C. Goesmann.
15 Jahre lang habe sie keine TBC-Fälle gesehen, in den vergangenen
fünf Jahren dagegen sechs. Und alle TBC-Kranken stammten aus unterprivilegierten Gruppen.
Auch die Anzahl von Menschen ohne jeglichen Schutz vor Krankheit steigt rapide. Betroffen sind erwerbslose Menschen, dessen Partner ein Einkommen
erzielen, denn hier zählt inzw. jeder "Lohn", der über dem Sozialhilfeniveau liegt. Trotz negativer Bescheide zu ALG II (nach Streichung der Arbeitslosenhilfe) sind also diese Menschen nicht einmal krankenversichert. Betroffen sind auch geringfügig Beschäftigte oder Selbstständige mit kleinem Einkommen. Das Statistische Bundesamt teilte zudem mit, dass auch Geschiedene und Ausländer überdurchschnittlich oft nicht krankenversichert sind oder ältere Arbeitslose, die sich selbständig machten (und damit privat versicherten) und nun große Probleme haben, in die gesetzliche Krankenkasse (zurück)wechseln zu können.
188.000 Menschen sind inzwischen ohne Krankenversicherung, wobei noch geschätzt wird, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen weitaus höher liegt.
Bei diesen bedrohlichen Zunahmen von Krankheit durch Armut sind zwimngende Maßnahmen erforderlich, bspw. das sämtliche Zuzahlungen (wie bei Medikamenten, Krankenhausaufenthalten oder Praxisgebühr) wieder gestrichen werden.
Würden im übrigen alle BürgerInnen in eine gesetzliche Krankenkasse einzahlen und die Medikamenten--Positivliste endlich durchgesetzt, so wäre unser Gesundheitssystem nicht nur finanzierbar sondern auch ausbaufähig.
Bliebe noch anzumerken, dass zur Pflichzugehörigkeit in einer gesetzl. Krankenkasse nicht
ein Arbeitsplatz bei der PKV entfiele. Für die weitere Existenz privater Krankenkassen
garantieren schon Luxuswünsche wie Chefarztbesuche oder Einzelbettzimmer.
Bei der Umsetzung der Medikamenten-Positivliste fielen zudem
Unmengen an überteuerten und nutzlosen Medikamente weg.
Zu einer "gesunden Gesundheitspolitik" positionierte
sich die Gewerkschaft Verdi sehr klar.
Neben der Forderung, dass auch Selbstständige und Beamte in eine
Bürgerversicherung einzahlen, müssen künftig auf Mieten und
Kapitaleinkünfte Beiträge zur Krankenversicherung fallen.
Die Kopfpauschale der Union (zur Täuschung auch "Gesundheits-Prämie"
genannt) lehnt Verdi klar ab.
Fazit:
Mit einer wirklichen Reform des Gesundheitsssystems würde
die Krankheit, die arm macht, nicht noch mehr Menschen infizieren.
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