Vorfahrt für Gott - Arbeiten unterm Kreuz

CARITAS UND DIAKONIE IN DEUTSCHLAND / Die kirchlichen Sozialwerke, ihre Finanzen und wie sie mit ihren Beschäftigten umgehen

Die beiden Sozialwerke der katholischen und der evangelischen Kirche, Caritas und Diakonie, haben im Jahre 2002 rund 45 Mrd. Euro Umsatz erzielt. Das entspricht dem weltweiten Umsatz des Automobilkonzerns BMW im gleichen Jahr. Bei den beiden Sozialwerken arbeiten nach der Statistik der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege knapp 1,5 Millionen Menschen. Das sind mehr als bei den 30 DAX-Unternehmen im Inland. Knapp eine Million Beschäftigte sind es nach eigenem Bekunden der Verbände. Eingebettet ist die Untersuchung über Caritas und Diakonie in eine Bestandsaufnahme der Wohlfahrtsverbände. Hier rechnet Autor Carsten Frerk das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt und den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband hinzu: Insgesamt bilden sie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtsverbände. Immerhin Arbeitgeber für rund zwei Millionen Menschen, nach Angaben der Berufsgenossenschaft.
Kritisch setzt sich Frerk mit der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen auseinander. Danach regeln sie ihr Innenleben weitgehend selbst. Eingeschränkt sind damit insbesondere Gesetze des Arbeitsrechts. So kommt das Tarifvertragsgesetz nicht zum Zuge, ebensowenig das Betriebsverfassungsgesetz. Zu den Einschränkungen lässt sich außerdem die Zwangskonfessionalität zählen. Sie beschränkt sich keinesfalls auf die bloße MitgliedschaftinderKirche. Vielmehr sind die Beschäftigten in allen Funktionen auf die Grundsätze des Glaubens verpflichtet, und Verstöße können den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen.
Carsten Frerk hat mit diesem Buch ein gutes Stück Transparenz in die klerikale Ökonomie gebracht. Intensiv spürte er den Tätigkeitsfeldern und deren Finanzierung nach. So kommt er zu der Erkenntnis, dass sich die Einrichtungen von Caritas und Diakonie zum weitaus größten Teil über Zuwendungen aus Steuergeldern und Sozialversicherungen finanzieren. Nur weniger als zwei Prozent kämen aus der Kirchensteuer.
Herausgekommen ist dabei ein aufschlussreiches Kompendium zur Wirtschaft kirchlicher Sozialwerke. ver.di hat die Buchveröffentlichung unterstützt. Es geht nicht darum, die Sozialwerke an den Pranger zu stellen, sondern aufzuzeigen, dass kirchliche Verbände mit ihrem Innenleben sich nicht allzusehr von anderen Wirtschaftszweigen unterscheiden. Deshalb fordert ver.di auch die weitestgehende Angleichung des Arbeitsrechts, so beispielsweise die Übernahme des Tarifvertrags öffentlicher Dienst für die Beschäftigten bei den kirchlichen Einrichtungen.
Dass Autor Carsten Frerk mit seinem Buch einen empfindlichen Nerv von Caritas und Diakonie getroffen hat, lässt sich an den Reaktionen ablesen. Beide Verbände bemühten sich nach der Buchveröffentlichung um Schadensbegrenzung und übten sich im Dementieren.
Günther Lange, Verdi news | August 2005