Die ersten Weihnachtsmänner, die bewiesen, dass sie mehr können, als Geschenke verteilen, betraten 1983 zu dritt eine Bank, zogen ihre Waffe aus den Säcken und ließen diese mit Geld füllen. Danach verteilten sie sich und wurden nicht wieder gesehen.
Seither sind Weihnachtsmänner als Sozialfiguren kaum in Erscheinung getreten. Der typische Weihnachtsmann gilt als einsamer Schenker, mochte auch mancher von seiner Rute Gebrauch machen. Politisches Arrangement aber hat man ihm noch nie unterstellt. - Das hat sich nun geändert.
Zukunftsängste haben den W. von heute befallen. Er bangt Zeiten entgegen, in denen die Geschenke rar werden. Angesichts von Hartz IV weiß der W. sich nun um seine Existenz bedroht - und schreitet zum äußersten.
Hoffnungen, die sich mit dem W. verbinden, müssen nicht an Geschenke gebunden sein. - Gemeinsam mit Christkind und Nikolaus hat der W. direkt zur politischen Aktion gefunden.
- Als sich in Bremen Beschäftigte der Ameos-Klinik-Dr.Heines mit Unterstützung von MitgliederInnen der freien Gewerkschaft FAU und der Gewerkschaft Verdi vor dem Klinikgebäude zum Arbeitskampfe versammelten, um ihren Unmut über den von der Klinikleitung geforderten Verzicht von Urlaubs- und Weihnachtsgeld lautstark Protest zu verleihen (wegen vermeintl. wirtschaftlich miserabler Lage), schlossen sich plötzlich dem Widerstand auch der Weihnachtsmann und etliche Nikoläuse an.
Dass darauf einsetzende gellende Pfeifkonzert von Klinikbelegschaft, Weihnachtsmann und Nikoläusen zwang die Klinikleitung zum Einlenken.
- In Berlin wurde ein Nobel-Restaurant, dass neben Hollywoodstars auch Bundeskanzler Schröder zu seinen Stammgästen zählen darf, von vermummten Weihnachtsmänner gestürmt. Dort verteillten die roten Kapuzianer im Stil von Speisekarten Flugblätter, auf denen Ein-Euro-Jobs scharf kritisiert wurden. Anschließend setzten sich die Vermummten an die Tische der Gäste und bedienten sich von deren Tellern. Zwar kamen darauf die W. nicht umhin, die gute Küche des Hauses lobend zu erwähnen, doch gaben sie zu bedenken, dass der Preiss eines einzigen Menüs soviel kostet, was einem Hartz IV-Empfänger zum Überleben monatlich zur Verfügung steht.
- Am gleichen Tage, begleitet von Engeln und dem Christkindl persönlich, besetzten Weihnachtsmänner ein Kaufhaus in Berlin, weil trotz enormer Umsätze die ArbeiterInnen (gleich wie den Weihnachtsmännern) immer mehr für immer weniger Geld arbeiten müssen. - Sind die Einen direkt von Arbeitslosigkeit bedroht, sollen die Anderen ihre gewerkschaftlich hart erkämpften Rechte nach und nach aufgeben, um eine "Krise" abzuwenden, die im Konzern ausschließlich durch Managementfehler entstanden war (wilder Zukauf von Ketten).
So wurde handstreichartig das Weihnachtsgeld gestrichen, während Erwerbslose die Streichung ihrer Arbeitslosenhilfe hinnehmen sollen.
Die von Kündigungen bedrohte Konzern-Belegschaft des Berliner Kaufhaus solidarisierte sich sofort mit der heiligen Schar, und forderten darauf gemeinsam ein schöneres Leben: "Wir haben ein Recht auf ein gutes Leben in Würde, auch in materieller Hinsicht. Die Möglichkeiten dazu sind da. Dass Profite gemacht werden müssen, statt die Bedürfnisse aller zu befriedigen, ist nicht unsere Schuld. Es soll auch nicht unser Problem bleiben."
Anschließend verteilte die heilige Schar Bonbons und Mandelkerne, wobei ein Engelein-Chor die glockenhellen Stimmchen erhob, um Lieder wie "Morgen, Kinder, wird nichts geben" zu singen. Musikalisch wurden sie von eine Samba-Band begleitet, die dabei lautstark Hallelujas schmetterte. Darauf gründeten sie noch gemeinsam eine Bedarfsgemeinschaft Hartz IV e.V
Schlussendlich folgte noch eine Runde durch die Parfüm-Abteilung, in der einer der Weihnachtsmänner das Wort ergriff. Er berichtete einerseits aus seinem harten unheiligen Arbeitsalltag und andererseits über mies bezahlte Angestellte von Call-Centern. Das widerrum empörte das Christkind so sehr, dass es vom Weihnachtsmann das Megaphon forderte, um hierrüber seinen christlichen Zorn zu donnern - doch nun begannen Kaufhausdetektive und Kleinstmanager sich als sehr unweihnachtlich zu gerieren, und es folgte ein unheiliges Herumzerren am (von der Heiligen Schar mitgebrachten) Weihnachtsbaume, bis sich die heilige Schar gezwungen sah, ihre Weihnachts-Kundgebung auf der Straße fortzusetzen - denn tatsächlich wurde sie auch aus dem Kaufhaus gedrängt.
In der eisigen Winterluft nun folgten weitere Redebeiträge und zu guter Letzt packte auch das Christkind aus.
Zum Schluss wurden die Süßigkeiten vom behängten Weihnachtsbaum an die Bevölkerung verteilt, und es folgte eine letzte Samba-Musik und schließlich zerstreute sich die Himmelsschar und wurde nicht wieder gesehen.
- Auch zur Leipziger Montagsdemonstration erschien die heilige Schar mit mehreren Nikoläusen und Christkind. Zwar tarnten sie sich zunächst als Zivilisten, doch als die Protestierenden wütend "Kindergeld und Unterhalt - macht Schröder denn vor gar nichts halt?" riefen, zeigte die heilige Schar plötzlich ihre Ruten, die sie zustimmend und drohend erhoben. Und selbst der Weihnachtsmann, der vom Weihnachtsmarkt kommend sich eilig anschloss, forderte zornig: "Reichtum besteuern - Wirtschaftsbosse feuern!", wobei schaurig grimig sein langer weiser Bart am roten Megaphon bebte.
In der Sozialgeschichte wird somit dem Weihnachtsmann nicht länger mit Ignoranz begegnet werden können.
Fraglich wird aber bleiben, ob mit einer vermummten Christbaumgurilla zu rechnen ist und der Weihnachtsmann entschlossen gegen das Vermummungsverbot ankämpfen wird.
Und: wird eine Bewaffnung über die Rute hinaus erfolgen?
Auch die Entwicklung des W. vom einsamen Schenker zum Rächer der Verarmten der wehenden Mantels, der für seines Sackes Füllung selber sorgt...
ist noch offen.
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