Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923 ("Marsch auf Berlin" zur Errichtung einer nationalen Diktatur) und Urteile

Aus "Hitler" von Ian Kershaw

S
pätabends am 7. November diskutierte Hitler die Pläne mit seinen SA-Führern und sagte seinem Leibwächter, Ulrich Graf, als sie gingen: "Graf, morgen abends um 8.00 Uhr geht's los! Gegen ein Uhr morgens kehrte er in seine Wohnung an der Thierschstraße zurück. Ungefähr elf Stunden später kam er im langen Regenmantel und mit der Pferdepeitsche aufgeregt in Rosenbergs Büro und hielt nach Göring Ausschau. Hanfstaengl und Rosenberg diskutierten gerade die nächste Ausgabe des Völkischen Beobachters. Hitler sagte ihnen, "der Moment zum Handeln ist gekommen", verpflichtete sie zu Stillschweigen und beorderte sie für den Abend in den Bürgerbräukeller an seine Seite. Sie sollten Pistolen mitbringen. Heß hatte bereits am Morgen von den Plänen erfahren. Auch Pöhner war ins Bild gesetzt worden. Andere Vertraute Hitlers wie Hoffmann wußten nichts. Drexler, Gründer und Ehrenvorsitzender der NSDAP, machte sich am frühen Abend nach Freising auf, wo er gemeinsam mit Hitler als Redner aufzutreten gedachte, als er Amann und Esser über den Weg lief und erfuhr, daß er nicht nach Freising zu fahren bräuchte, die Versammlung sei abgesagt worden.
Vor den etwa 3 000 Zuhörern im vollbesetzten Bürgerbräukeller hatte Kahr etwa dreißig Minuten seiner vorbereiteten Rede aus dem Manuskript vorgetragen, als gegen 20 Uhr 30 am Eingang Unruhe aufkam. Kahr brach seine Rede ab. Eine Gruppe Männer mit Stahlhelmen erschien. Hitlers Sturmabteilung war eingetroffen. Ein schweres Maschinengewehr wurde in den Saal geschoben. Die Menschen stiegen auf die Stühle, um zu sehen, was geschah, als Hitler durch den Saal vorrückte, die Pistole an die Decke gerichtet, begleitet von zwei bewaffneten Leibwächtern. Hitler kletterte auf einen Stuhl, doch außerstande, sich bei dem Tumult verständlich zu machen, schoß er mit seiner Browning an die Decke. Dann verkündete er, daß die nationale Revolution ausgebrochen und der Saal von 600 bewaffneten Männern umstellt sei. Wenn nicht sofort Ruhe eintrete, werde ein Maschinengewehr auf die Galerie gebracht. Die bayerische Regierung sei abgesetzt, eine provisorische Reichsregierung werde gebildet. Mittlerweile war es etwa 20 Uhr 45. Hitler befahl Kahr, Lossow und Seißer, ihn in den Nebenraum zu begleiten, er garantiere ihre Sicherheit, und nach einigem Zögern folgten sie. Im Saal ging es unterdessen drunter und drüber, doch schließlich gelang es Göring, sich verständlich zu machen. Er sagte, die Aktion richte sich weder gegen Kahr noch gegen die Armee oder die Polizei. Die Leute sollten die Ruhe bewahren und sitzen bleiben. "Sie haben ja Ihr Bier!" fügte er hinzu. Das beruhigte die Lage etwas.
Im Nebenraum verkündete Hitler, während er mit seiner Pistole herumfuchtelte, ohne seine Erlaubnis dürfe niemand gehen. Er erklärte die Bildung einer neuen Reichsregierung mit ihm an der Spitze. Ludendorff übernehme die nationale Armee, Lossow das Amt des Reichswehrministers und Seifser das Polizeiministerium, Kahr sei zum Landesverweser in Bayern und Pöhner zum Ministerpräsidenten mit "diktatorischen Vollmachten" ernannt. Hitler räumte ein, natürlich sei die Sache schwierig, aber es müsse sein: Er sei gezwungen, dem Triumvirat das Handeln zu erleichtern. Sollte die Sache schiefgehen, habe er vier Schüsse in seiner Pistole, drei für seine Mitarbeiter, die letzte Kugel für sich selbst.
Hitler kehrte unter erneutem Tumult etwa zehn Minuten später in den Saal zurück. Er wiederholte Görings Zusicherungen, daß die Aktion nicht gegen die Polizei und die Reichswehr gehe, sondern "lediglich gegen die Berliner Judenregierung und die Novemberverbrecher von 1918". Er stellte seine Vorschläge für neue Regierungen in Berlin und München vor und erwähnte dabei Ludendorff jetzt als "Führer und Chef mit diktatorischer Gewalt der Deutschen Nationalarmee". Dem überfüllten Saal teilte er mit, die Dinge dauerten länger, als er vorhergesagt habe. "Draußen sind (...): Kahr, Lossow, Seißer, erklärte er. "Bitter schwer wird ihnen der Entschluß. Sind Sie einverstanden mit dieser Lösung der deutschen Frage?" Als die Menge ihr Einverständnis zurückbrüllte, verkündete Hitler mit seinem Sinn für Theatralik: "Der Morgen findet entweder in Deutschland eine deutsche nationale Revolution oder uns tot." Am Ende seiner kurzen Ansprache - "ein rednerisches Meisterstück" nach Meinung Karl Alexander von Müllers, der Augenzeuge war - hatte Hitler die Anwesenden im Saal für sich gewonnen.
Etwa eine Stunde nach Hitlers Ankunft kehrten er und Ludendorff, der in vollem Ornat der Armee mittlerweile eingetroffen war, gemeinsam mit dem Triumvirat auf das Podium zurück. Kahr, gelassen, das Gesicht wie eine Maske, sprach zuerst, verkündete unter tumultuösem Beifall, er habe zugestimmt, Bayern als Regent für die Monarchie zu dienen. Hitler, dessen euphorischer Gesichtsausdruck an kindliche Freude erinnerte, erklärte, er werde die Politik der neuen Reichsregierung lenken, und ergriff warmherzig Kahrs Hand. Ludendorff, todernst, sprach als nächster, erwähnte, wie sehr ihn die ganze Sache überrasche. Lossow mit etwas undurchsichtiger Miene und Seißer, der aufgeregteste der ganzen Gruppe, wurden von Hitler ans Rednerpult gedrängt. Schließlich versprach Pöhner, mit Kahr zu kooperieren. Hitler schüttelte dem ganzen Ensemble erneut die Hände. Fraglos war er der Star der Show. Es war sein Abend.
Danach jedoch ging so ziemlich alles schief. Die hastig improvisierte Planung, die hektische Eile nach nur einem Tag. Vorbereitung, nachdem Hitler ungeduldig darauf gedrängt hatte, den Putsch auf den Abend der Versammlung im Bürgerbräukeller vorzuverlegen, verlangten nun ihren Tribut und bestimmten den chaotischen Verlauf der nächtlichen Ereignisse. Vor der Räumung des Saales ließen sich, nachdem Heß eine Namensliste vorgelesen hatte, die er von Hitler erhielt, die anwesenden Regierungsmitglieder widerstandslos verhaften.
Die Nachricht von einem erfolgreichen Staatsstreich erreichte auch die Versammlung im Löwenbräukeller auf der anderen Seite des Stadtzentrums, wo Esser Lind Röhm vor Kampfbundtruppen sprachen. Im Saal herrschte Siegestaumel. Doch draußen lief es nicht ganz so glatt. Röhm gelang zwar die Einnahme des Hauptquartiers der Reichswehr, doch versäumte er, die Telephonzentrale zu besetzen, womit er es Lossow gestattete, den Transport loyaler Truppen aus nahe gelegenen Städten und Ortschaften nach München zu befehlen. Auch Frick und Pöhner übernahmen anfänglich erfolgreich die Kontrolle über das Polizeipräsidium. Anderswo verschlechterte sich die Situation zusehends. Die Putschisten scheiterten, hauptsächlich auf Grund eigener Desorganisation, mit dem Versuch, Kasernen und Regierungsgebäude unter Kontrolle zu bekommen. Die frühen (Teil-)Erfolge kehrten sich größtenteils rasch wieder ins Gegenteil. Weder die Armee noch die Staatspolizei schlossen sich den Putschisten an.
Im Bürgerbräukeller beging Hitler unterdessen seinen ersten Fehler. Als Berichte über die Schwierigkeiten der Putschisten an der Pionierkaserne einliefen, beschloß er, selbst hinzufahren und persönlich einzugreifen, ein vergebliches Unterfangen. Ludendorff blieb als Verantwortlicher im Bürgerbräukeller und ließ Kahr, Lossow und Seißer im Vertrauen auf das Wort eines Offiziers und Ehrenmannes gehen. Sie konnten dann in Freiheit alle Versprechen widerrufen, die Hitler ihnen unter Druck abgepreßt hatte.
Ein Besucher, der in einem Hotel in der Münchner Innenstadt übernachtete, erinnerte sich an Störungen bis in die frühen Morgenstunden, als Banden junger Männer in Hochstimmung durch die Straßen marschierten, überzeugt, daß die bayerische Revolution erfolgreich verlaufen sei. An den Wänden klebten Plakate, die Hitler als Reichskanzler ausriefen - das erste Mal, daß diese Bezeichnung für ihn verwendet wurde. Es war überraschend, doch vor allem ein Anzeichen der unkoordinierten und chaotischen Organisation des Putsches, daß Hitler diese Proklamation der "nationalen Diktatur" bis zum 9. November hinausgeschoben hatte. Irgendwann vor Mitternacht übergab er Julius Streicher die Verantwortung für Organisation und Propaganda der Partei - vermutlich, weil er davon ausging, alle Hände voll zu tun zu haben, sofern alles nach Plan verlaufe. In Wirklichkeit war der unglückselige Versuch, den Staat unter Kontrolle zu bekommen, bereits um Mitternacht gescheitert, obwohl die Putschisten selbst es noch nicht erkannt hatten.
Spätabends konnten Kahr, Lossow und Seißer den staatlichen Behörden versichern, daß sie den Putsch niedergeschlagen hatten.
Alle deutschen Radiosender wurden von Lossow um 2 Uhr 55 informiert. In den frühen Morgenstunden wurde auch den Putschisten klar, daß Triumvirat, Reichswehr und Staatspolizei gegen den Coup standen Um fünf Uhr morgens versicherte Hitler noch immer, er sei zum Kampf entschlossen und bereit, für die Sache zu sterben - ein Zeichen dafür, daß auch er jedes Zutrauen in den Erfolg des Putsches verloren hatte. Kurz zuvor, auf dem Rückweg vom Wehrkreiskommando zum Bürgerbräukeller, hatte er Ulrich Graf gesagt, "daß es sehr ernst für uns stehe".
Schon als er feststellte, daß Ludendorff Kahr, Lossow und Seißer hatte gehen lassen, habe er, wie er später sagte, gespürt, daß die Sache verloren war. Die Stimmung im Bierkeller war mutlos. Die Wolke schalen Tabakqualms hing über Hunderten, die teilnahmslos an den Tischen verharrten oder müde ausgestreckt auf den Stühlen lagen, die sie zusammengeschoben hatten. Die Brötchenberge und Hektoliter Bier, die einen Gutteil der Rechnung über 11347000 Mark ausmachten, die der NS-Partei schließlich geschickt wurde, waren inzwischen größtenteils verzehrt und getrunken. Und noch immer kamen keine Befehle. Keiner wußte, was geschah.
Die Führer des Putsches wußten zu der Zeit selbst nicht genau, was sie als nächstes tun sollten. Diskutierend saßen sie herum, während sich die Regierungskräfte neu gruppierten. Es gab keine Rückzugsposition. Hitler war genauso ahnungslos wie die anderen. Weit davon entfernt, die Situation zu beherrschen, griff er verzweifelt nach dem letzten Strohhalm und erwog sogar, nach Berchtesgaden zu fahren, um Prinz Rupprecht zu gewinnen, der bekanntermaßen den Putschisten feindlich gesinnt war. Kriebel trat für einen in Rosenheim koordinierten bewaffneten Widerstand ein. Ludendorff meinte, er sei nicht mit von der Partie, wenn die Sache auf einer Landstraße im Matsch ende. Auch Hitler favorisierte den bewaffneten Widerstand, unterbreitete jedoch kaum praktische Vorschläge, und mitten in der Rede wurde ihm von Ludendorff das Wort abgeschnitten. Stundenlang erhielten die Truppen der Putschisten in der Stadt keine Befehle von ihren Führern. Als der eiskalte Morgen dämmerte, begannen deprimierte Truppen den Bürgerbräukeller ungeordnet zu verlassen. Um ungefähr acht Uhr schickte Hitler einige SA-Männer zur Druckerei, um dort Bündel mit 50 Milliardenmarkscheinen für die Bezahlung der Truppen zu beschlagnahmen. Das war mehr oder weniger die einzige praktische Aktion, während der Putsch rasch zusammenzubrechen begann.
Erst im Laufe des Vormittags kamen Hitler und Ludendorff auf die Idee eines Demonstrationszuges durch die Stadt. Offenbar ging der Vorschlag von Ludendorff aus. Wie vorauszusehen, war das Ziel wirr und unklar.
"In München, Nürnberg, Bayreuth wäre ein unermeßlicher Jubel, eine ungeheure Begeisterung wäre im Deutschen Reiche ausgebrochen", bemerkte Hitler am 28. Februar 1924 vor dem Volksgerichtshof in München (...).
(...)
Um die Mittagszeit brach eine Kolonne von rund 2 000 Mann - darunter viele wie Hitler bewaffnet - am Bürgerbräukeller auf. Mit schußbereiten Pistolen standen sie einem kleinen Polizeikordon an der Ludwigsbrücke gegenüber und fegten ihn unter Drohungen beiseite, zogen durch das Isartor und das Tal hinauf zum Marienplatz im Herzen der Stadt, bevor sie beschlossen, zum Kriegsministeriurn zu marschieren. Gruppen rufender und winkender Anhänger auf den Gehsteigen feuerten sie an. Manche dachten, sie erlebten gerade die Ankunft der neuen Regierung. Doch die Putschisten sahen auch, daß viele der Plakate, welche die nationale Revolution ausriefen, bereits abgerissen oder mit neuen Anweisungen des regierenden Triumvirats überklebt worden waren. Am Morgen hatten einige Zuschauer schon begonnen, sich über den Putsch lustig zu machen. "Hat es die Mutti erlaubt, daß ihr mit so gefährlichen Dingern hier auf offener Straße spielt?", hatte ein Arbeiter wissen wollen, als Hans Franks Einheit mit Maschinengewehren unweit des Bürgerbräukellers Position bezogen hatte. Die Teilnehmer des Marsches wußten, daß die Sache verloren war. Einer bemerkte gar, das Ganze sei ein "Leichenzug".
Am oberen Ende der Residenzstraße, als die Marschierer zum Odeonsplatz an die Feldherrnhalle kamen, begleitet von vereinzelten "Heil"-Rufen, während sie versuchten, sich durch das Absingen des "SturmLiedes" mit einer Melodie von Dietrich Eckart bei Laune zu halten, trafen sie auf den zweiten, größeren Polizeikordon. "Da kommens, Heil Hitler!" schrie ein Zuschauer auf. Dann ertönten Schüsse. Wer zuerst geschossen hat, wurde nie ganz geklärt, aber es war vermutlich einer der Putschisten. Danach folgte ein wilder, fast halbminütiger Schußwechsel. Als das Feuer eingestellt wurde, lagen 14 Putschisten und vier Polizisten tot am Boden.
Unter den Toten war einer der Initiatoren des Putsches, Max Erwin von Scheubner-Richter, der in vorderster Linie mitmarschiert war. Arm in Arm mit Hitler und unmittelbar hinter den Standartenträgern. Hätte die Kugel, die Scheubner-Richter tötete, 30 Zentimeter weiter rechts getroffen, wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. Nach Lage der Dinge ist Hitler entweder ausgewichen oder wurde von ScheubnerRichter zu Boden gerissen. Auf jeden Fall renkte er sich seine linke Schulter aus. Göring hatte einen Beinschuß erhalten. Er und eine Reihe weiterer führender Putschisten konnten über die österreichische Grenze fliehen. Einige, darunter Streicher, Frick, Pöhner, Amann und Röhrn, wurden sofort verhaftet. Ludendorff, der die Schießerei unversehrt überstanden hatte, stellte sich aus freien Stücken und wurde auf sein Ehrenwort als Offizier wieder freigelassen.
Hitler wurde von Dr. Walter Schultze behandelt, dem Chef der Ambulanz der Münchner SA, der ihn in seinen in der Nähe geparkten Wagen schob und mit hoher Geschwindigkeit den Tatort verließ. Hitler gelangte schließlich in Hanfstaengls Haus in Uffing südlich von München, wo ihn die Polizei am Abend des 11. November aufspürte und verhaftete. Dort - Ernst Hanfstaengl selbst war nach Österreich geflohen - verfaßte Hitler das erste seiner "politischen Testamente", übergab Rosenberg den Parteivorsitz und ernannte Amann zu dessen Stellvertreter. Laut Hanfstaengls später verfaßtem Bericht, der auf Aussagen seiner Frau beruhte, sei Hitler bei der Ankunft in Uffing verzweifelt gewesen. Doch für Geschichten, die später kursierten, daß er vom Selbstmord abgehalten werden mußte, fehlen die sicheren Belege. Er war deprimiert, aber gelassen, in einen weißen Bademantel gekleidet, seinen verletzten linken Arm in einer Schlinge, als die Polizei eintraf, um ihn zum Gefängnis in der alten Festung von Landsberg am Lech zu eskortieren, einer Kleinstadt etwa 60 Kilometer westlich von München. Neununddreißig Wachmänner standen bereit, um ihn an seiner neuen Wohnstätte zu begrüßen. Graf Arco, der den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner im Februar 1919 ermordet hatte, mußte die geräumige Zelle Nr. 7 verlassen und dem neuen, hochrangigen Gefangenen Platz machen.
In München und an anderen Orten in Bayern verpuffte der Putsch ebenso rasch, wie er begannen hatte. Zwar sympathisierte ein Gutteil der Münchner Bevölkerung mit den Putschisten, was hier und andernorts zu anfänglichen Demonstrationen gegen den "Verrat" Kahrs führte, aber das Abenteuer war vorüber. Hitler war erledigt oder hätte es wenigstens sein sollen. Robert Murphy, amerikanischer Konsularbeamter in München, vermutete, Hitler werde seine Strafe absitzen und dann aus Deutschland ausgewiesen werden. Stefan Zweig bemerkte später: "In diesem Jahr 1923 verschwanden die Hakenkreuze, die Sturmtrupps, und der Name Adolf Hitlers fiel beinahe in Vergessenheit zurück. Niemand dachte mehr an ihn als einen möglichen Machtfaktor."
München, 9. Nov. 1923: bewaffnete SA-Männer (in der Mitte Heinrich Himmler mit Reichsflagge) besetzen eine Barrikade vor dem Kriegsministerium an der Ludwigsstraße
bewaffnete Putschisten aus der Münchener Umgebung
Bei der Urteilsverkündung am 1. April 1924 wurde Ludendorff wie erwartet freigesprochen, was er als Beleidigung auffaßte. Wegen Hochverrats verurteilte das Gericht Hitler - neben Weber, Kriebel und Pöhner - zu einer Haftstrafe von nur fünf Jahren, abzüglich der vier Monate und zwei Wochen, die er bereits in Gewahrsam verbracht hatte, und einer Geldstrafe von 200 Goldmark oder weiteren 20 Tagen Haft. Die anderen Angeklagten kamen mit noch milderen Strafen davon. Später räumte Hitler ein, die Laienrichter hätten dem Schuldspruch nur unter der Bedingung zugestimmt, daß er die mildeste Strafe erhalte und ihm eine frühe Entlassung in Aussicht gestellt werde. Das Gericht erklärte, warum es die Abschiebung Hitlers im Sinne des Gesetzes zum Schutz der Republik ablehnte:
"Hitler ist Deutschösterreicher. Er betrachtet sich als Deutschen. Auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler, der freiwillig viereinhalb Jahre lang im deutschen Heere Kriegsdienste geleistet, der sich durch hervorragende Tapferkeit vor dem Feinde hohe Kriegsauszeichnungen erworben hat, verwundet und sonst an der Gesundheit beschädigt und vom Militär in die Kontrolle des Bezirkskommandos München I entlassen worden ist, kann nach Auffassung des Gerichtes die Vorschrift des § 9 Absatz II des Republikschutzgesetzes ihrem Sinn und ihrer Zweckbestimmung nach keine Anwendung finden."
die angeklagten Putschisten Heinz Pernet, Friedrich Weber, Wilhelm Flick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert Wagner (v.l.n.r.)
Selbst bei den bayerischen Rechtskonservativen riefen das Gerichtsverfahren und die Urteile Erstaunen und Ablehnung hervor. Juristisch gesehen war das Urteil skandalös. Mit keinem Wort erwähnte die Urteilsbegründung die vier Polizisten, die von den Putschisten erschossen worden waren; der Raub von 14 605 Billionen Mark Papiergeld, im Gegenwert von 28 000 Goldmark, wurde stark heruntergespielt; die Zerstörung der Büros der SPD-Zeitung Münchener Post und die Geiselnahme einiger sozialdemokratischer Ratsherren legten die Richter nicht Hitler zur Last; und mit keinem Wort gingen sie auf den Text einer neuen Verfassung ein, den die Polizisten in der Hosentasche des toten Putschisten von der Pfordten gefunden hatten. Auch ist der Urteilsbegründung kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß Hitler noch der Bewährungsfrist unterlag, die der Richter im Januar 1922 bei dem Verfahren wegen Landfriedensbruchs über ihn verhängt hatte. Rechtlich hatte er keinen Anspruch auf eine weitere Bewährungsfrist. In jenem ersten Hitler-Prozeß hatte der gleiche Richter amtiert, der jetzt als Vorsitzender den Hochverratsprozeß im Jahre 1924 leitete: Georg Neithardt, ein Sympathisant der Nationalisten.
Hitler kehrte zum Antritt seiner leichten Strafe nach Landsberg zurück, wo er unter Bedingungen inhaftiert war, die eher einem Hotel als einem Gefängnis glichen. Die Fenster des großen, bequem eingerichteten Zimmers im ersten Stock boten Ausblick auf die schöne Landschaft. In Lederhosen gekleidet konnte er sich auf einem Schaukelstuhl entspannen und Zeitung lesen (...).
vorzeitige Haftentlassung (noch im gl. Jahr der Verurteilung)
Im darauffolgendem Jahr studiert der Führer Rednerpos(s)en...
Die Aufnahmen zeigen somit keine "Aktion", d.h. Hitler verharrt in jener Positur, bis diese vom Leibphotographen H. Hoffmann gesichert ist.
Nicht ausgeschlossen, dass Hitler dieses treffliche Bsp. für Hochstapelei und Manipulationen schon in Landsberg einstudierte; mglw. auch vor seinen Schreiberlingen Emil Maurice und Rudolf Heß beim Diktieren von Mein Kampf.
Dieses Machwerk trug im Übrigen so sehr des Führers "unnachahmlichen, kaum lesbaren Stil", dass einige seiner Paladine in den Text revidierend eingreifen mussten und dabei gleich ganze Abschnitte umformulierten. Ian Kershaw:: "Die Hauptarbeit übernahmen der Musikkritiker des Völkischen Beobachters, Stolzing-Czerny, und der ehemalige Hieronymitenpater Bernhard Stempfle, einst Chefredakteur des Miesbacher Anzeigers, einer mit der NS-Bewegung symphatisierenden, bayerischen Regionalzeitung."
Der Führer