Einige redeten davon, über das Wolga-Eis auszubrechen und in Gruppen auf Umwegen die deutschen Linien zu erreichen. Doch wo waren die deutschen Linien? Jedenfalls würde man zwangsläufig irgendwann die russische Front durchqueren müssen. Auf das Wolgaeis konnte man durchaus unbemerkt gelangen, doch was dann? Vielleicht 100 Kilometer in geschwächtem Zustand, ohne Nahrung, durch tiefen Schnee außerhalb der Fahrspuren marschieren? Das konnte keiner überleben. Einzelausbruch war keine reale Chance. Einige versuchten es dennoch. Ich weiß von keinem, dem das gelungen ist. Der Chef der l. Batterie, Hauptmann Sieveke und auch der Regimentsadjutant Schmidt haben es versucht und blieben verschollen. Wahrscheinlich sind sie erfroren, verhungert oder getötet worden. Ich verabschiedete mich von den Leuten. Ob wir uns je wiedersehen würden? Mein Rückweg führte mich über den Roten Platz, auf dem immer noch wie eine Art "Luftbrücken-Denkmal" eine abgeschossene HE 111 lag. Gegenüber, im Keller des Kaufhauses Univermag, befand sich Paulus mit seinem Stab. Dort war auch der Divisionsgefechtsstand der 71. Infanterie-Division. Was dachten oder taten die Generäle da unten im Keller? Vermutlich nichts. Sie warteten. Hitler hatte eine Kapitulation verboten und Weiterkämpfen wurde von Stunde zu Stunde sinnloser. Ich ging weiter zur Schnapsfabrik, wo mein Abteilungskommandeur noch immer seinen Gefechtsstand hatte und kam an der Theaterruine vorbei, die nur noch dem Portikus eines griechischen Tempels ähnelte. Ehemalige russische Barrikaden waren wieder hergerichtet worden, um nun vor den Russen zu schützen. Der Endkampf griff auf die Innenstadt über. Im Keller der Schnapsfabrik herrschte eine gespenstische Stimmung. Der Regimentskommandeur, der Kommandeur der II. Abteilung Major Neumann und auch mein ehemaliger Mit-Fahnen-Junker Gerd Hofmann vom Artillerieregiment 19 aus Hannover waren anwesend. Gerd war jetzt Regimentsadjutant. Es existierten wohl nur noch die Reste der I. Abteilung, bei der die Obdachlosen Notunterkunft gefunden hatten. Schnapsflaschen füllten die Tische. Sie lärmten unsinnig, waren stark angetrunken und sahen schon beinahe wie Leichname aus. Es wurde ausführlich erörtert wer sich alles schon erschossen hatte. Ich fühlte mich ihnen psychisch und physisch überlegen. Immerhin konnte ich noch von meinem Urlaubsspeck zehren. Die anderen hatten sechs Wochen länger gehungert. Ich wurde zum Mittrinken aufgefordert und hielt zunächst gerne mit. "Haben Sie noch Ihre Batterie, oder ist die auch schon abhanden gekommen?" fragte von Stumpf. "Dann wäre das ja die letzte Batterie meines stolzen Regiments, das jetzt auch im Arsch ist. Es war einmal..." Ich berichtete vom Zugang der versprengen Artilleristen, vom Stellungsausbau und dass ich jetzt über 200 Mann hätte. Sogar von unserer Pferdesuppe erzählte ich. Als ich mich nach Weisungen oder Befehlen erkundigte und auf meine "Igel-Funktion" hinwies, schlug es mir trunken entgegen: "Na, da salzen Sie sich Ihre stolze Batterie nur schön ein, damit sie noch etwas hält bevor sie vermodert. Die hat ja jetzt Seltenheitswert, die sollte man der Nachwelt für Museumszwecke erhalten, so eine schöne kleine Batterie.""Nun stehen Sie hier nicht so blöd herum, setzen Sie sich endlich auf Ihren feisten Arsch und trinken Sie mit uns. Wir müssen doch noch die restlichen Pullen leer machen..." "Was macht denn das schöne Fräulein Braut? Weiß die überhaupt schon, dass sie Witwe ist. Ha-ha, ha…" "Hinsetzen! Den letzten Tropfen durch die Gurgel und ein dreifaches Sieg-Heil auf Adolf den Einzigartigen, den Schöpfer der Witwen und Waisen, dem größten Feldherrn aller Zeiten! Kopf hoch! Also Prost, so jung kommen wir nicht wieder zusammen!" Ich hatte mich schon gewundert, dass die Pistolen neben den Gläsern lagen. "Wenn wir den Fusel vernichtet haben, na dann, Peng..." Der Kommandeur der II. Abteilung hielt den Zeigefinger der rechten Hand an seine Schläfe. "Peng, und dann ist der große Durst vorbei." Ich hielt überhaupt nichts vom Erschießen und hatte diesen Gedanken für mich noch nie in Erwägung gezogen. In der stickigen Kellerluft wurde mir vom Schnapsgeruch fast übel. Der Raum war überheizt. Die Kerzen hatten den Sauerstoff verbraucht, es stank nach menschlichen Ausdünstungen. Ich verspürte Hunger. Nur raus aus diesem Loch! Im Kellergang kam mir Gerd Hofmann nach: "Mensch, Wüster, bleib doch hier. Wir kapitulieren nicht. Wir müssen doch sowieso verrecken, wenn uns der Russe nicht gleich umlegt. Wir haben uns in die Hand versprochen, dass wir selber Schluss machen." Ich versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen und forderte ihn auf, mit mir zu meiner Batterie zu gehen. Die Trinker würden ihn doch kaum vermissen. Solange meine Batterie noch einsatzbereit ist, fasse ich keinen Entschluss über das, was mit mir werden soll. Was ich nach dem letzten Schuss auf den Gegner tun werde, wenn ich dann noch immer lebe, weiß ich jetzt noch nicht. Das klärt sich dann. "So sehr heroisch finde ich es nicht, sich besoffen eine Kugel durchs Hirn zu jagen.", sagte ich zu ihm. Aber Gerd Hofmann blieb bei seiner Meute. Im Gegensatz zu mir, waren ihm Meinungen und Verhaltensweisen von Vorgesetzten stets Evangelium gewesen. An der frischen Luft wurde mir endlich wieder wohler. Auf dem Weg zu meiner Batterie ging es mir durch den Kopf: Die würden zum Erschießen bald viel zu besoffen sein. Aber sie brachten sich dann doch alle um. Das berichtete abends der Fernsprecher, der die Leitung zur Abteilung abbaute. Trotzdem war es ein Schock, der zu einem hoffnungslosen Gespräch mit meinem Hauptwachtmeister führte. Langsam begannen auch meine Gedanken um den alles beendenden Schuss aus der Pistole zu kreisen. Dann dachte ich an Ruth und dass ich eigentlich noch nicht viel von meinem Leben hatte. Ich war noch jung und befand mich bisher nur in Abhängigkeit anderer. Da waren Pläne, Ziele, Ideen und ich wollte nach diesem Krieg endlich auf eigenen Beinen stehen. Vieles sprach für das selbst bestimmte Ende. Es wäre gewiss bequemer, in einer der unterschiedlichen Herden mitzulaufen. Aber muss nicht letzten Endes jeder mit seinem persönlichen "Gott" versuchen ins Reine zu kommen? Zum Märtyrer fand ich mich völlig ungeeignet. Mein Hauptwachtmeister brachte mich schließlich mit einem trockenen Landserspruch und einem Schluck aus der Flasche über den Berg: "Man erschießt sich im Leben meist nur ein einziges Mal, wenn man dazu nicht zu dumm ist, was vorgekommen sein soll, Herr Oberleutnant, und was ist hinterher? Manch einer hat das dann sein ganzes Leben lang bereut. Da sage ich lieber Prost!" Nach einer Weile fügte er hinzu: "Warum sollen wir dem Russen die Arbeit abnehmen, wenn es denn überhaupt sein muss." Am 30. Januar 1943 trommelte der Russe von früh an, auch in unserem Abschnitt, aus allen Rohren. Dazwischen krachten die demoralisierenden Stalinorgelsalven in unterschiedlicher Nähe. Es gab kaum einmal eine Unterbrechung, in der man die Nase aus dem Loch strecken konnte. Der Schnee ums Badehaus war wie weggeblasen. Die braune Erde des gefrorenen Bodens lag als dicke Staubschicht obenauf. Bei uns hatte es kaum Verluste gegeben. Die Betondecken des Badehauses und unsere soliden Erdbunker hatten diesem Feuersturm stand gehalten. Ein Kanonier wurde von einem Granatsplitter im Bauch getroffen und ins Badehaus geschafft. Unser Sanitäter befreite ihn mit Spritzen von seinen Schmerzen. Eine Überlebenschance hatte er nicht, schon gar nicht unter diesen gegebenen Umständen. Selbst auf den Verbandsplätzen unter ärztlicher Notversorgung wurde auch nur noch elend verreckt. Wenn mein Kanonier doch nur möglichst rasch sterben würde, damit er nicht so lange leiden muss, dachte ich. Nachmittags flachte das Feuer der Russen ab. Von Westen näherten sich feindliche Panzer. Rechts von uns befand sich ein Erdhügel über einem Wasserreservoir der Stadt, der von einer fremden Infanterie-Einheit besetzt war. Linker Hand war niemand. Dort hatte man schon kapituliert. Vor meiner Batterie wurde in Sichtweite ein russisches Geschütz in Stellung gebracht. Wir vertrieben es mit ein paar Granaten. Ein Panzer näherte sich und feuerte eine Granate in die Nähe des Badehauses. Ohne Befehl sprang der Geschützführer, Unteroffizier Fritze, mit seinen Leuten an die Haubitze und bekämpfte den Panzer im Direktbeschuss. Sogar ein Hiwi russischer Herkunft war aus freien Stücken dabei und machte den Ladekanonier. Bei dem sich entwickelnden Duell war uns der Panzer mit seiner höheren Feuergeschwindigkeit im Vorteil, brachte aber keinen Volltreffer zuwege. Vor Nahtreffern schützte der Ringwall. Fritze hatte schließlich Erfolg, traf den Turm des T 34 mit einer 10,5 cm-Granate. Ich hatte den Volltreffer mit meinem Fernglas beobachtet und schickte die Geschützbedienung in Deckung zurück, doch überraschend fuhr der Panzer wieder an und begann erneut zu feuern. Unser Volltreffer hatte ihn durch seine starke Panzerung wohl nicht erledigt. Beim zweiten Volltreffer hatten wir auch kein Glück. Panzergranaten hatten wir nicht mehr und die normalen Granaten schlugen meist nicht durch. Erst der dritte Treffer brachte endlich den ersehnten Erfolg. Er schlug am Heck des T 34 ein und der Motor des Kollos geriet in Brand. Es hatte mich völlig überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit meine Leute noch kämpften. Die erfolgreichen Kanoniere freuten sich fast wie Kinder, schienen ihre hoffnungslose Situation für einen kurzen Augenblick zu vergessen. Als nach einiger Zeit ein weiterer Panzer auftauchte, ein noch gewaltigerer der KW-Klasse, setzte ich vorsorglich zwei Geschütze auf ihn an. Auch diesen KW schafften wir ohne eigene Verluste zu erleiden. Leider hatte sich unsere Infanterie vom Wasserreservoir vertreiben lassen. Wir gerieten in das MG-Feuer der nach dorthin vorgedrungenen Russen. Unsere Lage wurde immer ernster und aussichtsloser, obwohl inzwischen links von uns eine eigene leichte Batterie mit veralteten LFH-16-Feldhaubitzen in Stellung gegangen war. Aber auch die verfügten nur noch über wenige Granaten. Im Badehaus konnte ich den entbehrlichen Leuten Schutz anbieten. Es wurde Nacht und die Kampfhandlungen schliefen ein. Den kommenden Tag würden wir kaum durchstehen können. Wir hatten nur noch 19 Granaten und ich befahl daher vorsorglich zwei unserer Geschütze zu sprengen. Eins war ohnehin schon beschädigt, wenn auch noch verwendungsfähig. Für jedes Geschütz besaß man eine l Kg-Sprengladung, die in Verschlussnähe ins Rohr geschoben werden konnte. Mit einer kurzen Zündschnur wurde sie gezündet und das Geschütz unbrauchbar gemacht. Damit zerstörte man das Rohr, den Verschluss und die Rohrwiege. Plötzlich erschien ein fremder Infanterie-Offizier in unserer Stellung und wollte die zweite Sprengung verhindern. Er befürchtete, die Russen würden auf die Materialvernichtung aufmerksam und könnten später ihren Ärger an deutschen Gefangenen abreagieren. Er redete noch allerhand mehr daher. Jedenfalls ließ ich auch die zweite Haubitze sprengen. Bald danach befahl mich der fremde Infanterie-Kampfgruppenkommandeur zu sich. Warum sollte ich nicht zu ihm gehen? Zur Not konnte ich mich auf meinen General Roske berufen und meine Unabhängigkeit behaupten. Ich traf auf einen wichtigtuerischen Oberstleutnant, dem es eigentlich gar nicht mehr um die gesprengten Geschütze ging. Er befahl mir, noch in der Nacht den Hügel des Wasserreservoirs zurückzuerobern. Diese Anhöhe beherrschte die ganze Gegend. Außerdem wollte er sich meine Batterie unterstellen, um die Angelegenheiten vollständig in die Hand zu bekommen. Dabei verwies er auf seinen höheren Dienstgrad und versuchte mir zu drohen, als ich mich auf meine Selbständigkeit berief. Er ließ auch nicht gelten, dass ich auf die Aussichtslosigkeit hinwies, mit "unausgebildeten" Artilleristen zurückerobern zu wollen was die Infanterie im Kampf verloren hatte. Schließlich sagte ich halbherzig einen Versuch zu. Ich stellte einen Trupp von zirka 60 Mann zusammen, suchte einige geeignet erscheinende Unteroffiziere aus und wollte beginnen. "Das kann doch nichts werden.", entgegnete der Spieß, wollte aber freiwillig mitmachen. Es war Vollmond bei wolkenlosem Himmel. Auf den vom russischen Beschuss unberührten Flächen knirschte der Schnee unter den Füßen und ließ die Umgebung fast taghell erleuchten. Zunächst konnten wir gedeckt vorgehen, mussten dann aber über deckungslosen Schnee den freien Hügel hinauf. Kurz vorher vereinbarten wir zeitgleich in zwei Gruppen aus der Deckung hervorzubrechen, um die Russen zu verwirren. Bisher waren sie noch nicht aufmerksam geworden, obwohl sie eigentlich schon etwas gemerkt haben mussten. Oder waren sie gar nicht mehr auf dem Hügel? "Also, dann los!", rief ich leise und ging hügelan auf die freie Fläche. Angst hatte ich schon dabei. Nichts geschah - kein Schuss. Als ich mich umblickte, waren nur noch zwei Mann in meiner Nähe. Einer war der Spieß. Als niemand folgte, gingen wir in die Deckung zurück. Dort hockte die ganze Meute - sagte nichts, rührte sich nicht. "Was ist, habt ihr keine Lust mehr?", ging ich sie an. "Nein.", kam es aus der hinteren Reihe. "Wenn die sich von ihrem Berg runter jagen lassen sollen sie gefälligst selbst sehen wie sie wieder rauf kommen. Wir wollen doch da nicht hin." "So, da wollt ihr also meutern? Wollt ihr überhaupt nicht mehr kämpfen, oder was habt ihr sonst noch vor? Dann hättet ihr doch heute früh dem Iwan seine Panzer nicht mehr kaputt zu machen brauchen.", entgegnete ich. In diesem Moment begriff ich, dass die Zeit meiner Befehlsgewalt abzulaufen begann. Selbst mit Nachdruck war nun niemand mehr hinter dem Busch vorzulocken. "An unserm Geschütz bleiben wir und wir schießen auch zurück, aber Infanterie mit Hurra und so spielen wir nicht mehr, das ist vorbei." Wir machten Kehrt und ich berichtete dem Oberstleutnant vom Misserfolg dieser Aktion und meiner Vermutung, dass der Hügel unbesetzt sei. Der gab sich unbeherrscht, krähte von Feigheit und Kriegsgericht. Als er sich schließlich abreagiert hatte, fragte er, ob die Herren Artilleristen überhaupt noch zu kämpfen gedächten. Ich antwortete mit einem müden "Ja". Zu einem "Jawohl, Herr Oberstleutnant." konnte ich mich nicht mehr aufraffen, ergänzte aber: "Ich nehme an, dass wir morgen noch kämpfen werden, auch wenn es nicht mehr viel Sinn hat, so wie die Dinge liegen." Jedem war klar, dass der 31. Januar der letzte Tag in eingekesselter "Freiheit" für uns sein würde. Nachdem ich mich mit meinem Hauptwachtmeister abgesprochen hatte, ließ ich alle noch vorhandene Verpflegung verteilen und wies darauf hin, dass es ab nun nichts mehr geben werde. Jeder müsse selbst wissen, wie er es sich einteile. Das letzte Pferd lief noch oben über der Kellerdecke herum, brach zusammen und kam wieder auf die Beine. Zum Schlachten war es jetzt zu spät. Die Hufgeräusche waren gespenstisch. Ich ließ alles Gerät, außer Waffen und den T-Empfänger vernichten. Unser Verwundeter stöhnte und schrie vor Schmerzen, denn der Sanitäter hatte keine Spritze mehr. Wenn er doch endlich sterben würde, der arme Kerl, wenn er wenigstens ruhig sein wollte. Mitgefühl kann sich erschöpfen, wenn man selbst hilflos wird. Die lauernde Ungewissheit wurde unerträglich. An Schlafen war nicht zu denken. Lustlos wurde ein letztes Skatspiel versucht, was aber auch nicht half. Dann tat ich, was fast alle taten: Ich setzte mich hin und fraß von meinen Vorräten so viel in mich hinein, wie ich konnte. Das beruhigte zunächst. Haushalten mit der restlichen Verpflegung schien auch sinnlos geworden zu sein. Auf einmal wurden von meinen aufgestellten Wachposten drei russische Offiziere hereingeführt. Der eine, ein Hauptmann, sprach recht gut Deutsch. Niemand wusste, wo sie so plötzlich hergekommen waren. Ich wurde zur Kampfaufgabe aufgefordert. Wir sollten unsere Verpflegung strecken, uns mit Getränken versorgen und die Stellung bei Tagesanbruch mit weißen Fahnen kennzeichnen. Der Vorschlag war vernünftig, doch wir waren uns noch unschlüssig. Weiterer Widerstand war eigentlich sinnlos. Ich würde diesen Oberstleutnant unterrichten müssen, auch die fremde Batterie neben uns. Der Oberstleutnant musste schon Wind vom Besuch der Russen bekommen haben. Er zog eine Riesenschau ab: "Verräterei, Kriegsgericht, Erschießung ..." usw. Ich konnte ihn nicht mehr ernst nehmen und wies darauf hin, dass ich den Kontakt zu den Russen nicht gesucht habe, sondern sie von selbst gekommen seien. Ich erklärte meine Bereitschaft die Russen unverrichteter Dinge wieder fortzuschicken, wenn die Infanterie zum letzten Kampf fest entschlossen sei. Meine Männer würden dann vermutlich auch am 31. noch mit kämpfen, wenn wohl auch nicht mehr viel auszurichten sei. "Unterlassen Sie endlich die Gerätezerstörerei. Damit machen Sie doch die Russen nur verrückt. Nachher machen die gar keine Gefangenen mehr!", rief mir der cholerische Oberstleutnant nach. Nun wusste ich gar nicht mehr wie ich mit ihm dran war. Sterben wollte er offenbar nicht. Ich schickte die Russen weg, berief mich dabei auf "höhere Befehle", die mir "leider" keine andere Handlungsweise gestatteten. Diese Version erleichterte mir auch gegenüber meinen Leuten das Gesicht zu wahren. Wie gewohnt schalteten wir für den Empfang der deutschen Nachrichten den Transistorempfänger ein und hörten außer Nachrichten auch die Rede Görings zum 30. Januar, dem zehnjährigen Jubiläum der nationalsozialistischen Machtergreifung. Es war das noch gesteigerte bühnenreife Schwadronieren aufgeblasener Phrasen, welches man früher nicht so abgeschmackt vernommen hatte. Wir empfanden diese Rede als blutigen Hohn auf uns, die man für Fehlentscheidungen der obersten Führung hier verrecken ließ. Thermopylen, Leonidas, Spartaner - wir wollten doch gar nicht mit den Helden des klassischen Altertums konkurrieren! Stalingrad wurde zum Mythos gemacht, noch ehe alle "Helden" tapfer untergegangen waren. "Der General steht neben dem einfachen Landser, beide mit dem Gewehr in der Hand. Sie verschießen ihre letzte Patrone – sterben, damit Deutschland lebe." "Abstellen! Das Arschloch lässt uns hier verrecken, macht Sprüche und frisst sich dabei die Wampe voll. Aber fertig bringt er nichts, der aufgeblasene bunte Papagei..." In der Wut wurden noch viele andere Unflätigkeiten herausgeschrien, die auch gegen Hitler gingen. Ja, wir durften als Opfer unverantwortlich leichtfertiger Entscheidungen schon im Voraus die Leichenreden auf unseren Tod mit anhören. Die Geschmacklosigkeit war wirklich nicht mehr zu überbieten. Görings Versorgungsgarantie hatte das Ausbruchsverbot wesentlich beeinflusst. Aus sturer Überheblichkeit wurde eine ganze Armee geopfert. "Wo der deutsche Soldat steht, da kommt kein anderer hin!" Das hatte sich im vorausgegangenen Winter schon einmal als Irrtum erwiesen und wir waren jetzt schon zu schwach zum Stehen - leere Worte, Phrasen, dümmliches Geschwätz. 1000 Jahre sollte das Dritte Reich halten und schon nach 10 Jahren begann es zu wanken. Zunächst hatte uns Hitler fast alle in seinen Bann gezogen. Er hatte alle im geschlossenen Siedlungsgebiet lebenden Deutschen in einen Deutschen Staat zusammengeführt. Der Anspruch auf Danzig und eine Korridorlösung war gerechtfertigt. Wir Soldaten wollten diesen Krieg nicht, wollten nicht auf irgendwelchen Schlachtfeldern dieser Welt verrecken, selbst auf die Gefahr hin, dass Stalin ganz Europa bolschewisieren wollte. Aber jetzt, hier, im fernen Stalingrad, hatten wir die Schnauze gestrichen voll. Im sicheren Badehauskeller meiner Batterie fragte mich ein älterer Unteroffizier ernsthaft und ruhig, ob es nun endgültig mit uns zu Ende gehe und ob denn wirklich nicht mehr die geringste Hoffnung bestehe. Ich konnte ihm, wie auch mir selbst, keine Hoffnung erklären. Der kommende Tag würde das Ende bringen. Der Mann war ein kultivierter Reservist mit erkennbarer Bildung. Wegen seiner Ängstlichkeit war er oft geneckt worden. Nun ging er ruhig und gefasst in den Erdbunker an sein Geschütz zurück. Warum hatte er wohl gefragt? Jeder merkte doch, was die Stunde geschlagen hatte. War es die Suche nach Bestätigung eines kleinen Hoffnungsschimmers vor dem drohenden unbekannten Schicksal? Funkgeräte, Fernsprecher und anderes Gerät wurden mit der Kreuzhacke zerschlagen, schriftliche Unterlagen der Batterie verbrannt. Endlich starb unser Verwundeter. Ich zog mir ein Paar weite lederne Kommisstiefel an, in denen ich ein zweites Paar Socken überziehen konnte. Ich trennte mich zwar ungern von meinen Filzstiefeln, konnte so aber beweglicher sein. Danach schlief ich unter dem neuen pelzgefütterten Ledermantel, den mir meine Eltern an die Front geschickt hatten ein. Dieser Mantel hätte wohl einem General gut zu Gesicht gestanden, aber hier in Stalingrad war er für einen Frontoffizier unbrauchbar. Dieses schöne Kleidungsstück war während meiner Urlaubsabwesenheit bei der Batterie eingetroffen. Wie gern hätte ich im Urlaub mit diesem Mantel angegeben. Jetzt würde er sicher in russische Hände geraten, wie wohl auch mein Leica-Fotoapparat. Unbegreiflich, dass mir solche Nebensächlichkeiten durch den Kopf gingen, wo es doch ums nackte Überleben ging. Ruth, ach ja, daraus würde nun wohl auch nichts mehr werden. Mit meinem Tod rechnete ich täglich. Möge er möglichst kurz und schmerzlos erfolgen. […] Weg in die Gefangenschaft Der 31. Januar war ein Sonntag. Geschrei weckte mich: "Die Russen sind da!" Noch im Halbschlaf stürzte ich mit der Pistole in der Hand die Kellertreppe nach oben und schrie unbewusst: "Wer zuerst schießt lebt länger!" Ich traf einen Russen, der mir entgegen fiel. Bloß raus aus dem Keller und ran an die Schießscharten im Erdgeschoß, dachte ich mir. Da standen schon einige Kanoniere und schossen. Ich schnappte mir einen Karabiner und trat an ein Seitenfenster um in der Morgendämmerung besser sehen zu können. Russen drangen in unsere Feuerstellung ein und ich schoss. Aus den Erdbunkern bei den Geschützen kamen Kanoniere mit erhobenen Händen. Der ältere Unteroffizier ballerte mit seiner Pistole ziellos um sich. Ein Feuerstoß aus einer russischen Maschinenpistole machte ihm ein Ende. War es von ihm Mut, Verzweiflung - wer kann das wissen? Die Feuerstellung war verloren. Meine Kanoniere wurden als Gefangene fortgeführt. Aber das Badehaus wurde noch für kurze Zeit zur "Festung". Es bot jetzt allein Schutz und Sicherheit. Die fremde Batterie links neben uns war ebenfalls überrannt worden. Ihr Batteriechef, ein stämmiger Mann, der aus dem Mannschaftsstande als Hauptmann hervorgegangen war, kämpfte sich mit einigen seiner Leute zu uns ins Badehaus durch. Die Schießscharten bewährten sich. Wir schossen unaufhaltsam auf alles was sich draußen bewegte. Einige Gewehrschützen schnitzten für jeden von ihnen getroffenen Russen eine Kerbe in ihren Gewehrkolben. Was mögen sie sich dabei gedacht haben, war es noch einmal Selbstbestätigung mit dem Erfolgsgedanken längst vergangener Tage? Aber was sollte das alles noch? Es war sinnlos geworden. Die Russen zogen sich zunächst respektvoll zurück. Einige unsere Maschinengewehre versagten bei der Kälte. Das Öl wurde steif und wir Artilleristen wussten uns nicht recht zu helfen. Das Gewehr war die geeignetere Waffe. Ich schoss immer, wenn ich ein Ziel wahrzunehmen glaubte, traf aber seltener als erhofft. Infanterie-Munition war überreichlich vorhanden. Überall standen offene Munitionskisten herum. Die Schießerei lenkte ab, beruhigte sogar irgendwie. Plötzlich hatte ich die merkwürdige Vorstellung, in einer Art Zuschauerposition zu sein. Ich betrachtete quasi alles von außen. Es war eine Situation, die mir fremd und unwirklich vorkam. Rechts von uns, wo die fremde Infanterie mit ihrem cholerischen Oberstleutnant war, wurde nicht mehr gekämpft. Dort schwenkte man weiße Wäschestücke an Stöcken und Gewehren. Im Gänsemarsch bildeten sich Kolonnen und wurden abgeführt. ."Seht euch die Arschlöcher an!" schrie einer und wollte dazwischen schießen. "Was soll das, lasst sie in Ruhe.", griff ich ein, obwohl mir alles gleichgültig war. Es waren 20 Grad unter Null, aber die Kälte war nicht zu spüren. Im Keller aufgewärmte Maschinengewehre und Maschinenpistolen funktionieren wieder für kurze Zeit, bis sie abermals erkalteten und ihren Dienst versagten. Angeblich benutzte die Infanterie Petroleum, um die Funktion der Waffen zu erhalten. Vorübergehend trat Ruhe ein. Was kann man jetzt noch machen? Das Badehaus war zur Insel in der roten Flut geworden - zu einer völlig unbedeutenden Insel, an der vorbei sich die Flut schon in die Stadt hinein ergossen hat. Seitdem es still wurde, war die klirrende Kälte wieder zu spüren. Ich verteilte Ablösungen an die Schießscharten, damit sich jeder einmal im überheizten Keller, bei starkem Kaffee aufwärmen konnte. Ich frühstückte, was ich noch hatte. An den Schießscharten beobachtete ich einige Hiwis, die auf ihre eigenen Landsleute schossen. Wir hatten uns nicht mehr um sie gekümmert. Die Hilfswilligen hätten noch in der Nacht verschwinden können. Was mochte in ihnen vorgehen? Gewehre standen genügend herum und Munition lag überall bereit. Trotzdem hielten sie zu uns, selbst auf die sichere Konsequenz hin, bei Gefangennahme durch ihre Leute keine Überlebenschance zu haben. Ihr Versuch, den Krieg in unseren Reihen zu überleben, war gescheitert. Sie hatten nichts mehr zu verlieren. Der fremde Hauptmann spielte sich auf, obwohl er doch nur Gast bei uns war. Er erweckte den Eindruck, als wolle er jetzt noch siegen. Der Mann hatte vor aus dem Badehaus ausbrechen, um wieder Anschluss an eigene noch kämpfende Verbände zu finden. Halbherzig folgte ich seinem Entschluss, obwohl wir kämpfende Einheiten nur noch im Stadtinneren vermuteten. Beim Verlassen unseres Badehauses empfingen uns Maschinengewehrfeuer und Granatwerfer. Eisbrocken und Ziegelsplitter trafen mich schmerzend. Also stürmten wir zurück ins Haus, was nicht mehr allen gelang. Einige blieben tot und verwundet draußen liegen. Dann näherten sich einige Russenpanzer und beschossen das Badehaus. Die dicken Wände hielten dem Beschuss stand. Wie lange sollte das noch weitergehen? Die Zeit verging erschreckend langsam. Die T 34 rückten immer näher auf uns zu und feuerten nun gezielt auf unsere Schießscharten mit ihren Maschinengewehren. Das bedeutete unser Ende. Wer sich an die Scharten traute, fiel sofort durch Kopfschuss tot um. Es gab viele Tote. In dem Durcheinander tauchten plötzlich unbemerkt russische Parlamentäre im Haus auf. Ein Leutnant, ein Hornist und ein Soldat mit einem weißen Fähnchen an einer Stange, das an ein Jungvolk-Wimpel der Hitlerjugend erinnerte, standen vor uns. Nur gut, dass keiner der Parlamentäre Schaden genommen hatte, dachte ich. Der Hauptmann machte Anstalten die Russen zu verjagen, aber unsere Soldaten hatten genug. Sie stellten ihre Gewehre fort und suchten ihre Rucksäcke herbei. Die Schießerei hatte aufgehört, doch ich traute dem Frieden nicht. Vor allem der so markige Hauptmann war unberechenbar. Ich wollte mich seinem Einfluss entziehen und sprach mit zwei neben mir stehenden Kanonieren, ob man nicht versuchen solle, durch einen der bis ans Badehaus heranführenden Laufgräben zu entwischen. Richtung Innenstadt könnte man vielleicht doch noch durchkommen und Anschluss finden. Vielleicht suchte der so entschlossen wirkende Hauptmann den Heldentod um uns dann noch alle mitzureißen. Geduckt rannten wir drei los und verschwanden unbemerkt in den nächsten Häusertrümmern. Wir mussten nach dem Lauf einige Zeit verschnaufen. Ich hatte sogar meinen Ledermantel nicht vergessen. Meine Leica befand sich in der Kartentasche, denn bis zuletzt machte ich noch Aufnahmen, die erheblichen dokumentarischen Wert gehabt hätten. Wir sahen zum Badehaus hinüber. Dort war der Kampf beendet. Die Verteidiger drängten sich im Gänsemarsch durch ein Spalier russischer Soldaten. War es also doch kein heldenhafter Einzug nach Walhall, bevor sich der Vorhang senkte. Wir wären besser beim Haufen geblieben, denn trotz der hohen Verluste kam es nach unseren Beobachtungen zu keinen Brutalitäten der Russen. Vorsichtig schlichen wir durch Häusertrümmer in Richtung Stadtmitte. Es war Nachmittag geworden und wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich unser Generalfeldmarschall Paulus von einem russischen PKW in die Gefangenschaft hatte abholen lassen, ohne vorher noch einmal die Nase aus seinem Loch zu stecken oder gar ein Gewehr in die Hand genommen zu haben - Kessel Stalingrad-Mitte hatte aufgehört zu existieren. Im Nordkessel wurde unter General Strecker noch zwei Tage länger gestorben. Von Haus zu Haus springend und durch Keller schleichend, kamen wir drei Ausreißer nicht mehr weit. Wir befanden uns in der Nähe meiner alten komfortablen B-Stelle, als wir aus einem Keller herauskommend ein paar Russen vor die in Anschlag gehaltenen Maschinenpistolen liefen. Ehe ich so recht begriff was geschah, war ich meinen Ledermantel los. Die Pistole hatte ich beim Erheben der Hände fallen lassen. Sie fand kein Sammlerinteresse. Als mir bei der Durchsuchung die weiße Tarnjacke aufgerissen wurde, kamen die Offiziersspiegel am Feldblusenkragen zum Vorschein. Ein Faustschlag ins Gesicht folgte einem urigen Fluch. Man drängte uns in eine Mauerecke und mehrere Russen legten ihre Maschinenpistolen auf uns an. Ich war noch nicht wieder richtig zu Atem gekommen, apathisch aber ohne Angst. "Alles aus. Also doch.", schoss es mir durch den Kopf. "Das hättest du dir ja denken können, dass die sich nicht mit Einzelgängern aufhalten." Ich empfand eigentlich nichts, wartete gleichgültig, eher teilnahmslos auf das große unbekannte Aus, von dem ich keine Vorstellung hatte. Die Frage, ob die Russen uns umgelegt hätten blieb ungeklärt, denn ein vorbeirollender T 34 hielt an und lenkte die Rotarmisten von uns ab. Sie sprachen miteinander. Ein ölverschmierter Unterleutnant kam aus dem Turm geklettert und filzte uns noch einmal gründlich. Er fand auch meine Leica, wusste aber nichts mit ihr anzufangen, drehte an ihr herum und warf sie schließlich achtlos gegen eine Mauer. Das Objektiv brach heraus. Auch meine vollgeknipsten Filme warf er in den Schnee. Ich trauerte meinen Bildern nach. Mein ganzes Fotografieren war für umsonst, schoss es mir durch den Kopf. Natürlich waren wir unsere Armbanduhren schon gleich zu Beginn losgeworden. Trotz aller Proteste brachte der Unterleutnant auch meinen Ledermantel an sich. An meiner ledernen Kartentasche war er nicht interessiert, auch nicht an dem darin befindlichen Skizzenblock und einem Aquarellfarbenkästchen. Doch an meinen gefütterten Lederhandschuhen fand er Gefallen und zog sie sich fröhlich grinsend an. Als er in seinen Panzer zurück kletterte, warf er mir ein Paar ölverschmierte Pelzfäustlinge zu und ein Säckchen mit russischem Trockenbrot. Zwischen zwanzig und dreißig deutsche Gefangene wurden an uns vorbei getrieben. Lachend schob man uns dazu. Auf einem Trampelpfad ging es Richtung Westen aus der Stadt hinaus. So hatten wir Anschluss an die Gefangenschaft gefunden und waren gar nicht so unzufrieden. Die riskanteste Phase vom freien Kämpfer zum rechtlosen Gefangenen hatten wir, wenn auch auf riskantem Umweg, hinter uns gebracht. Den Leuten aus dem Badehaus bin ich, bis auf wenige Ausnahmen, so bald nicht wieder begegnet. Bei strenger Kälte schien die Sonne vom wolkenlosen blauen Himmel herab. Die Lebensgeister kehrten in meinen Körper zurück. Ich wollte mit allen Kräften versuchen durchzuhalten und am Leben zu bleiben. Wie das geschehen sollte, darüber konnte ich mir keine Vorstellungen machen. Ich erwartete Bahntransport und Lager, primitiv, wie so vieles in Russland, aber doch erträglich. Zunächst war das harte Trockenbrot, das ich mit meinen beiden Ausreißern teilte, noch wichtiger. Bald wurde nichts mehr geteilt: Hunger macht egoistisch und verdrängt jede Menschlichkeit. Von Kameradschaft und Nächstenliebe bleibt da nicht mehr viel. Nur die engsten Freundschaften haben noch Bestand. Dass man mich so arg ausgeplündert hatte, empfand ich nicht mehr tragisch. Es kam sogar ein gewisses Dankbarkeitsgefühl für den blonden fröhlichen Panzer-Unterleutnant auf, der seine Beute schließlich sogar "bezahlte". Brot war mehr wert als ein nutzlos gewordener Ledermantel oder eine Kamera, die man doch nicht auf Dauer behalten hätte. Die verölten Pelzfäustlinge sollten mir noch gute Dienste leisten. Kein Russe wollte sie mir wegnehmen. Gruppen und Grüppchen von Kriegsgefangenen wurden durch die Trümmer der Stadt getrieben. Diese Rinnsale flossen dann zu einer gewaltigen Kolonne von einigen Hundert, später Tausenden Gefangenen zusammen. Es ging an niedergekämpften deutschen Stellungen vorbei. Zusammengeschossene, auch ausgebrannte Fahrzeuge, Panzer und Geschütze aller Art, säumten den Weg aus festgefahrenem und festgetretenem Schnee. Überall lagen steif gefrorene Leichen herum - völlig abgemagert, unrasiert, oft verkrampft. Mitunter türmten sich die Leichen zu verschlungenen Haufen wie vorher zusammen getrieben und mit Maschinenwaffen niedergemäht. Andere Leichen wiesen Verstümmelungen bis zur Unkenntlichkeit auf. Diese ehemaligen Kameraden wurden tot oder lebendig, durch russische Panzer überfahren. Ihre Körperteile lagen als zerfetzte Eisstücke in der Gegend herum. Ich nahm das alles im Vorübergehen wahr, doch wie im Halbtraum verschwammen die grausigen Bilder ineinander, ohne Grauen zu erzeugen. In den Jahren des Krieges hatte ich so manchen Kameraden verloren, hatte Tod und Leid neben mir erlebt, aber nie hatte ich auf engstem Raum so viele getötete Soldaten gesehen. Ich marschierte mit leichtem Gepäck. Mein Rucksack ohne nennenswerten Inhalt, die Zeltbahn, eine am Weg aufgenommene Decke, mein Kochgeschirr und meine Kartentasche waren mir geblieben. Immerhin besaß ich noch eine Dose Schmalzfleisch und einen Beutel mit eiserner Ration (Zwieback, der nur bei großem Hunger genießbar war). Mein Magen meldete sich noch nicht nach der vortägigen Völlerei im Badehaus und dem Russenbrot. In den Lederstiefeln war ich gut zu Fuß und hielt mich im vorderen Teil des Gefangenenhaufens. Bei einem kurzen Halt musste ich die Hosen herunterlassen, um mich zu entleeren. Ich erschrak: Die Unterhose war voll festgetrocknetem Blut. Ich musste mir bei dem Durcheinander der letzten Kampfhandlungen unbemerkt einen Splitter eingefangen haben. Ein Betasten der rechten Pobacke führte schließlich zu dem Ergebnis, dass es nicht schlimm sein konnte und ich kaum Blut verloren hatte. Es schmerzte kaum bei Druck und blutete nicht mehr. "Und wieder Glück gehabt.", sagte ich mir. In der endlosen Gefangenenkolonne schleppten sich viele nur noch mühsam voran. Ich begriff erst jetzt wie elend und ausgemergelt die Kämpfer waren. Noch immer zehrte ich vom Urlaubsspeck. Immerhin hatte ich sechs Wochen weniger hungern müssen und es als Artillerist besser gehabt, als die hilf- und schutzlos ausgelieferten Infanteristen in der Steppe. Jetzt sah ich die ausgehungerten völlig erledigten Gestalten um mich herum, die kaum mehr in der Lage waren sich aus eigener Kraft fortzubewegen. In grotesken Vermummungen, teils nur Augen und Nase hervorzeigend, wankte die Masse kolonnenförmig durch den Eiswind in die Steppe. Immer mehr franste der Aufmarsch nach hinten aus. Die wenigen russischen Begleitposten hatten nach und nach ihre vergebliche Schreierei "Buistro" und "Dawaij", mit der sie uns vorangetrieben hatten, aufgegeben. Sie stapften selbst nur noch mürrisch durch den Schnee. Hinten brachen die ersten erschöpften Gefangenen zusammen. Anfangs wurden sie von beherzten, kräftigeren Kameraden noch ein Stück mitgeschleppt. Bald aber wurden auch die noch stärkeren mit ihrer Last zu schwach. Meine Kräfte ließen ebenfalls nach und ich quälte mich nur noch mühsam durch den Schnee voran. Wer allein war, torkelte, brach zusammen und blieb liegen. Der Frost erlöste sie von aller Qual. Verwundete Kameraden waren von vornherein am meisten gefährdet. Mit Tritten und Kolbenstößen brachten die Russen die Liegenden anfangs für kurze Zeit wieder auf die Beine, dann fielen die ersten Schüsse. Ein Aufschrei ging durch die Gefangenenkolonne. Es mehrten sich laute Proteste, Flüche und die Forderung stehen zu bleiben, um eine Rast zu erzwingen. Es folgten Schläge, Stöße, gewaltsames Wiederantreiben, Schüsse über unsere Köpfe hinweg. Menschlicher Überlebenswille ließ die schwächsten Gefangenen blind nach vorn drängen, um der Tötung durch die Posten zu entgehen. Häufigere Schüsse und schwächer werdende Protestschreie kündeten vom Abstumpfen der Massen. Jeder hatte mit sich selbst zu tun und setzte mühsam Schritt vor Schritt. Natürlich war ich empört und erregt, dass die Begleitmannschaften die kraftlos zusammenbrechenden Menschen kurzerhand erschossen und liegen ließen. Aber ich war klar genug mich zu fragen, ob die Posten überhaupt anders handeln konnten. Wer liegen blieb, wäre so und so bald erfroren. Transportmittel standen nicht zur Verfügung. Die Russen hatten mit ihrem Vordringen nach Westen selber Transportprobleme und ihre Führung machte sich wenig Gedanken um die auf sie zukommenden Gefangenenmassen. Wir waren ja während unseres Vormarsches 1941 mit der Menge an russischen Kriegsgefangenen auch nicht fertig geworden. Ob unsere Bewacher auch geschossen haben? Ich weiß es nicht. Mit russischen Gefangenen hatte ich nichts zu tun gehabt. Aus anderer Sicht war es vielleicht sogar menschlich, wenn man dem Leidenden mit einem Schuss ein rasches Ende bereitete. Wer weiß was in diesem Schützen vorging, wenn er seine Waffe gegen einen wehrlosen, am Boden liegenden erhob. Aber Mitleid kann sich ein Soldat bei seinem grausamen Handwerk kaum leisten. Solange das Begleitpersonal noch von Fronttruppen gestellt wurde, hatte ich nicht das Gefühl, dass man uns schikanieren, quälen oder systematisch fertig machen wollte. Diese Soldaten erfüllten ihren Befehl ohne erkennbare Emotionen. Trotz aller rationalen Begründungen bleibt aber Zorn gegenüber den Siegern. In Stalingrad hätten sich die Russen auf die zu erwartenden hohen Gefangenenzahlen vorbereiten können. Sie mussten sich auch im Voraus über den schlechten Gesundheitszustand ihrer Gefangenen im Klaren sein. Sie hätten insbesondere für die in den Kellern der Stadt verkommenden Verwundeten Vorbereitungen treffen müssen, um sie nicht ihrem Schicksal, dem aussichtslosen Kampf mit dem Tode, zu überlassen. Offenbar hatten sie sich um die Deutschen im Kessel, trotz wohlklingender Kapitulationsangebote, kaum Gedanken gemacht. Es ging um die Vernichtung der "faschistischen" deutschen 6. Armee. Langsam wurde es dunkel. In der Ferne sah man Leuchtkugeln aufsteigen und das Aufblitzen von Granatabschüssen. Wer kämpfte da noch? Waren die Leuchtkugeln russische Freudenfeuer oder griffen nun doch noch deutsche Entsatztruppen an? "Die holen uns hier wieder raus." "Wenn unsere noch kommen, legen uns die Russen aber vorher um." Die Parolen, Zeichen letzter Hoffnung, nahmen zu - eine unsinniger als die andere. Beleuchtete LKW-Kolonnen kamen uns, fast wie in Friedenszeiten, entgegen. Wie drohende Schatten standen russische T 34 auf der schneeglatten Rollbahn. Kleine Feuerchen unter den Bodenwannen hielten die Motoren warm und startbereit. Russen kannten ihr "Väterchen Frost" und konnten mit ihm umgehen. Schließlich trieb man uns in eine größere Balka hinunter, die schon mit Menschenmassen angefüllt war. Alle standen frierend herum und warteten auf das, was weiter geschehen werde. Wie stets in unklaren Situationen traten Gerüchte auf. Es soll Essen ausgegeben werden oder, die Kranken und Verwundeten werden auf Kraftwagen verladen oder, es geht noch bis zum nahen Don und von dort aus gäbe es Eisenbahntransporte. Viel wurde noch gerätselt, aber es geschah nichts. Am oberen Balkarand patrouillierten russische Posten, die ebenfalls froren. Ich war übermüdet, wühlte mir ein Schneeloch, schob meine Füße mit den Lederstiefeln in meinen recht leeren Rucksack und rollte mich unter Decke und Zeltbahn zusammen. Ich schlief sofort ein. Als ich erwachte, begann bereits der Morgen zu grauen. Ich war steif und kam nur mühsam auf die Beine. Erstarrt vor Kälte schlug ich die Arme um mich und trampelte mit den Füßen. Die Nacht hatte ich gut überstanden. Es gab viel Lärm aber keine Verpflegung, auch nichts zu trinken. Viele lutschten Schnee, doch das war riskant. Die Kroaten, die einer österreichischen Division angehört hatten, versammeln sich. Sie konnten sich sprachlich mit den Russen recht gut verständigen und versuchen, Vorteile für sich herauszuschlagen. Auf ähnliche Gedanken kamen auch Österreicher: "Wir bilden den Marschblock Rot-Weiß-Rot!", rief ein älterer Rittmeister unentwegt mit Wiener Dialekt - Beck hieß er wohl. "Was haben wir denn mit euch Nazis zu schaffen, die ihr uns überfallen habt um uns in eure Uniformen und euren Krieg zu pressen?" Unentwegt schwadronierte er in ähnlichen Phrasen weiter. Sein Tonfall wirkte unerträglich. Es versammelten sich schnell etliche Opportunisten um ihn, die Rot-Weiß-Rot dem Hakenkreuz vorzuziehen gedachten. Auch ein paar Nicht-Österreicher fanden sich, brachten aber den österreichischen Dialekt nicht recht hin und wurden verächtlich abgewiesen: "Geht's ihr doch mit eurem Hitler, schaut's, dass ihr weiter kommt, ihr dreckatn Nazis. Heim ins Reich mit Euch!" Das alles wurde einem Oberfeldwebel nun doch zu dumm: "Jetzt halt aber langsam deine gottverdammte Schnauze! So laut wie ihr 1938 geschrien habt, konnte bei uns gar keiner nach dem Führer schreien, den ihr lieben Österreicher uns doch erst beschert habt und jetzt nicht mehr kennen wollt!" Irgendetwas musste der Rittmeister erwidert haben, denn plötzlich schlug ihn der Oberfeldwebel mit der Faust ins Gesicht, so dass er in den Schnee stürzte. "Du dreckiges verräterisches Schwein! Trägst eine deutsche Offiziersuniform und kriechst den Russen in den Arsch, ehe sie dich darum gebeten haben!" Er war wohl selbst erschrocken über seinen Ausfall und wandte sich ab. Nichts geschah, doch mir hatte der Mann imponiert und aus dem Herzen gesprochen. Beck brachte aber seine Rot-Weiß-Roten dennoch zusammen und kooperierte mit den sich jetzt deutschfeindlich gebenden Kroaten, die bis zum Schluss als gute Soldaten auf unserer Seite gekämpft hatten. So unberechenbar waren die Balkanvölker. Die meisten gefangenen Österreicher fühlten sich aber noch als das was sie waren - als Deutsche. Doch das sollte sich nur all zu rasch ändern, nämlich als sie die Hakenkreuzadler von den Uniformen abtrennten und durch rot-weiß-rote Kokarden ersetzten. Es werden wohl Leute wie Beck gewesen sein, die schon früh dem österreichischen Wappenadler Hammer und Sichel in die Krallen gesteckt haben. Nein, heroisch war das Ende der 6. Armee in Stalingrad nicht. Vom deutschen Soldatenstolz war nichts geblieben. Als wir aus der Balka an den Posten vorbei herausmarschierten, gab es tatsächlich Verpflegung: ein Häufchen Hirsekörner in die aufgehaltene Hand, mit dem man nichts anfangen konnte. Man kaute die Hirse schließlich trocken herunter. Außerdem gab es noch einen Suppenwürfel, von dem man nicht abbeißen konnte. Bei einer späteren Rast wurde versucht trockenes Steppengras zu sammeln und zu entzünden, um die Würfel mit Schneewasser im Kochgeschirr aufzukochen. Das war ein recht hoffnungsloses Unterfangen. Die Halme ließen sich in der freien Schneelandschaft kaum entzünden und ergaben zu wenig Hitze. Als wir herumliegende Autoreifen entzünden wollten, verhinderten die Russen das und als wir weiter getrieben wurden, war noch nichts gekocht. Die im halbwarmen Schneewasser aufgelösten Würfel versuchte man so herunterzuschlucken. Den Durst musste der Schnee löschen. Den ganzen Tag schlichen die Kolonnen durch den Schnee dahin. Am Ende der Kolonne vernahm man die zur Gewohnheit gewordenen Schüsse. Die nächste Nacht verbrachten wir wieder im Schnee, um dann am Folgetag ohne Verpflegung weiterzugehen. Mein Schmalzfleisch und meine Eiserne Ration Kekse hatte ich längst verzehrt. Als wir durch ein lang gezogenes Straßendorf mit elenden Hütten zogen, gab sich die Bevölkerung feindselig. Man beschimpfte uns in unverständlicher Sprache. Manche wollten uns anspucken, trauten sich aber nicht nahe genug heran. Wir waren schon ein rechter Elendszug, bei dem man sich nicht mehr vorstellen konnte, dass wir noch vor wenigen Wochen Soldaten einer schlagkräftigen Armee gewesen waren, die den Russen wiederholt das Fürchten gelehrt hatten. Die dritte Nacht wurde durchmarschiert. Jetzt versiegten auch meine Kräfte. Unter diesen Umständen würde ich nicht mehr ewig durchhalten, ging es mir durch den Kopf. Ich kam mit drei unbekannten Leuten aus der Kolonne ins Gespräch. Wir mussten unbedingt ruhen und schlafen. Kaum ein anderer Gedanke beschäftigte uns in diesem Moment. Wir wollten versuchen aus dem Elendswurm auszubrechen. Die Nacht war sehr dunkel und es schneite leicht. Am Tage waren wir immer wieder an alten verlassenen Feldstellungen vorüber gekommen. Die ganze Gegend musste noch voller solcher Gräben und Unterstände sein, die noch aus den Septembertagen herrühren mochten. Wir kamen überein, uns seitlich abzusetzen und ein Loch zum Schlafen zu suchen. Man könnte nicht ewig so weitertrotten und würde schließlich auch zurückfallen, vielleicht zusammenbrechen und erschossen werden. Gemeinsam machten wir linksum und gingen in die dunkle Schneelandschaft hinein. Es riefen einige aus der Kolonne hinter uns her. Die Russen hatten entweder nichts bemerkt, oder es war ihnen gleichgültig. Jedenfalls geschah nichts. Wir vier gerieten bald in kniehohen Schnee, aber dann stolperten wir auch bald in ein Grabensystem. Hier fanden wir ein überdachtes Loch, in dem einmal Fernsprecher gelegen haben mussten. Es fanden sich Drahtreste von Fernsprechkabeln und ein vergessener Erdstecker. In der Ferne sah man noch die Lichter vereinzelter Kraftwagen auf der Rollbahn, wo wir noch eben im großen Haufen mitgezogen waren. Wir verhängten den Zugang mit Zeltbahnen und verkrochen uns dicht gedrängt unter den Decken, um uns gegenseitig zu wärmen. Es wurde eine ganz erträgliche Nacht, nur der Hunger quälte mächtig. Am anderen Tag schauten wir uns um. In der Ferne erkannte man den Rollbahnbetrieb. Wir fühlten uns frei, hatten Lust uns zu den eigenen Linien durchzuschlagen. Wo waren die jetzt? Im Westen irgendwo. Wo denn wohl sonst? Zunächst suchten wir Bretterstückchen zusammen, machten ein Feuerchen zum Aufwärmen und schmolzen Schnee im Kochgeschirr. Das löschte den Durst und füllte etwas den hungernden Magen. Bei Dunkelheit wollten wir losmarschieren und verschliefen erst einmal noch den ganzen Tag. Als wir unseren Versuch bei Dunkelheit starteten, gaben wir in dem zu hohen Schnee bald wieder auf. Ein Querfeldeinmarsch war aussichtslos, kostete zu viel Kraft, die wir nicht mehr aufbringen konnten. Wir kehrten erschöpft zu unserem Loch zurück. Was nun? Man würde wohl oder übel zusehen müssen, wie der Anschluss an die Kriegsgefangenschaft zu finden sei. Als es Tag geworden war, kehrten wir zur Rollbahn zurück und marschierten an deren Rand in Richtung Westen. Es herrschte lebhafter Fahrzeugverkehr in beide Richtungen. Niemand kümmerte sich um uns abgerissene Gestalten. Schließlich gelangten wir an eine von Russen belagerte Kolchose. Aus Feldküchen roch es nach Suppe, die gerade ausgegeben wurde. Große Zelte waren aufgeschlagen, in denen sich Strohlager befanden. Von uns nahm niemand Notiz. Schließlich reihten wir uns in die Schlange der Essenempfänger ein. Als der Koch uns schon das hingehaltene Kochgeschirr füllen wollte, erkannte er uns als Deutsche und jagte uns fort. Wir drangen in eines der Zelte vor und setzten uns ins Stroh. Das Zelt war mit liegenden oder hockenden Leichtverwundeten überfüllt. Auch hier blieben wir zuerst unbehelligt. Als aber im Zelt die Essenausgabe begann und wir erneut die Kochgeschirre vorstreckten, wurden wir wieder verjagt, dann aber zu einem Offizier geführt. Von den Gesprächen verstanden wir kein Wort. Man schien uns nicht ans Leben zu wollen, war nicht unfreundlich, nur zu essen gab es nichts. Wir wurden in einen dunklen, abschließbaren Erdkeller eingesperrt, der Vorratszwecken gedient haben musste. Als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, suchten wir nach Essbarem. Nach vielleicht einer Stunde wurden wir wieder herausgeholt und auf die Ladefläche eines offenen LKW verfrachtet. Sofort fuhr er mit uns los. Fahren ist immer besser als lauf en, dachten wir. Auf der Ladefläche standen reichlich braune Papiersäcke. Ich hatte im Saum meiner Tarnanzugshose mein Taschenmesser versteckt und schlitzte vorsichtig einen Sack auf. Er enthielt das mir schon bekannte Trockenbrot. Gierig machten wir uns darüber her. Als wir uns gesättigt fühlten, stopften wir uns noch Taschen und Rucksack voll. Der geöffnete Sack ließ sich zwischen den anderen tarnen. Vorsicht war geboten, denn immer wieder blickte ein Russe aus dem Führerhaus nach uns. Angst vor Entdeckung kam auf. Als unser Wagen dann an einer endlosen Gefangenenkolonne entlang fuhr, beschlossen wir abzuspringen und uns einzureihen. Nacheinander ließen wir uns über die Seitenwand zwischen die Gefangenen fallen, rappelten uns hoch und verschwanden getrennt in der Menge. Wir haben uns nie wieder gesehen. Das Intermezzo war beendet.
Ich war Gefangener - dieses Mal endgültig. Versäumt hatte ich nichts, war aber satt und ausgeschlafen und hatte sogar noch eine Brotreserve bei mir. So marschierte ich etwas hoffnungsvoller weiter - einem ungewissen Schicksal entgegen...
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